Rüttgers und die Wirtschaft
: Hilflos am Werkstor

Dreitausend Menschen verlieren mittelfristig ihre Arbeit – bei den Bayer-Werken in Leverkusen, Dormagen und Krefeld-Uerdingen. Und Jürgen Rüttgers, NRW-Ministerpräsident, steht diesmal nicht vor den Werkstoren. Er hält nicht, wie noch vor wenigen Wochen bei BenQ in Kamp-Lintfort, flammende Reden vor der zornigen Belegschaft. Dieser Realismus ist erfreulich: Die jetzige Landesregierung und ihre rot-grüne Vorgängerin haben zu oft suggeriert, Unternehmensentscheidungen beeinflussen zu können.

KOMMENTAR VON ANNIKA JOERES

Seit der Stahlkrise 1987 haben PolitikerInnen jeglicher Couleur durch ihre Medien-Auftritte keine Arbeitsplätze retten können. Immer wieder stehen sie entrüstet vor den Werkstoren und umarmen traurige ArbeiterInnen – von BenQ, Deilmann-Haniel oder Vaillant. Die stets eilig zur Schau gestellte Entrüstung widerspricht sogar dem Programm der aktuellen Landesregierung. Ihr Credo heißt Privat vor Staat, heißt Marktwirtschaft, freier Wettbewerb. Zum Beispiel sollen nach einer heutigen Entscheidung im Landtag öffentliche Aufträge sogar an Firmen vergeben werden können, die sich nicht an Tarife halten. Unternehmen erst große Freiheiten zuzugestehen und dann zu beklagen, dass sie sich an marktwirtschaftliche Prinzipien halten und entsprechend Arbeitskräfte „freisetzen“ – das ist absurd. Der Rest sind leere Appelle an die Moral.

Im globalen Kapitalismus fehlt Rüttgers nicht an den Werktoren, er fehlt dort, wo die Regierung noch handeln könnte: Auf dem zweiten Arbeitsmarkt. Da kann der Staat, zumindest im System der sozialen Marktwirtschaft, das Rüttgers so gerne beschwört, tatsächlich Einfluss nehmen. Bislang hat die schwarz-gelbe Koalition nur einen kleinen Anfang mit der überbetrieblichen Ausbildung gemacht. Für Langzeitarbeitslose, ältere und alleinerziehende Arbeitssuchende hat der Staat nichts zu bieten. Da wäre Rüttgers gefragt – statt öffentlich zu lamentieren.