Schützen Warnungen vor Terror?
JA

SICHERHEIT Innenminister Thomas de Maizière hat erstmals explizit vor Anschlägen gewarnt. Für manche Panikmache, für andere notwendige Information

Die sonntazfrage wird vorab online gestellt. Immer Dienstagnachmittag. Wir wählen interessante LeserInnenantworten aus und drucken sie in der nächsten sonntaz.

taz.de/sonntazstreit

Uwe Schünemann, 46, ist CDU-Politiker und Innenminister von Niedersachsen

Kernaufgabe einer wehrhaften Demokratie ist es, wachsam gegenüber extremistischen Gefahren zu sein. Tatsächlich gibt die Entwicklung im Bereich des islamistischen Terrorismus berechtigten Anlass zur Sorge: Seit 2001 hat es mehrere Anschlagsversuche auf deutschem Boden gegeben, die Gefahr von Anschlägen ist unverändert hoch. Die Zahl der als hochgradig gewaltbereit geltenden islamistischen „Gefährder“ deutscher Herkunft nimmt stetig zu; zwischen Deutschland und Terrorcamps im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet findet ein reger Reiseverkehr statt. Sicher: Angst schürende Warnmeldungen und Alarmismus sind in der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus ein schlechter Ratgeber, weil sie einen abstumpfenden Effekt haben können. Aber eine lageangemessene Information der Bürgerinnen und Bürger zu terroristischen Gefahren ist geradezu ein Kernstück verantwortungsbewusster sicherheitspolitischer Präventionsarbeit. Und nur aufgrund einer klaren Einschätzung der Bedrohungslage kann der Rechtsstaat notwendige Abwehrmaßnahmen gegenüber der Bevölkerung hieb- und stichfest begründen. Das ist das Gegenteil eines hektischen Sicherheitsaktionismus.

Philip D. Murphy, 53, ist seit einem Jahr Botschafter der Vereinigten Staaten in Deutschland

Die wichtigste Verantwortung, die Regierungen haben, ist der Schutz ihrer Bürger. 1988 erhielt das amerikanische Konsulat in Frankfurt einen Hinweis darauf, dass Terroristen Anschläge auf amerikanische Reisende planten. Diese Information wurde an wenige Regierungsvertreter weitergegeben, von denen sich einige entschlossen, nicht zu reisen. Die Information wurde nicht öffentlich gemacht. Am 21. Dezember starben 190 Amerikaner beim Lockerbie-Anschlag. An diesem Tag lernte die Regierung meines Landes eine tragische Lektion. Wir hatten glaubhafte Informationen über eine konkrete Bedrohung nicht an unsere Mitbürger weitergegeben. Es entstand unbeabsichtigt eine besondere Gruppe von Amerikanern, die von dieser Information profitierten, während andere das nicht konnten. Danach wurde entschieden, dass dies in einem grundlegenden Widerspruch zu unseren demokratischen Werten steht, und eine Maßnahme eingeführt, die das Messen mit zweierlei Maß untersagt. Das heißt, sobald die Regierung konkrete Informationen über eine realistische Bedrohung durch Terroranschläge gegen die USA erhält, ist sie verpflichtet, diese weiterzugeben. Wir möchten auf keinen Fall Panik auslösen, und deswegen ist dies ein sehr ernsthafter Entschluss, in den viele Bereiche meiner Regierung involviert sind. In den deutschen Medien – auch in der taz – wurde die Entscheidung meiner Regierung vom Oktober, einen Reisehinweis für Europa herauszugeben, viel kritisiert. Ich bin jedoch überzeugt, dass sie richtig war, und die nachfolgenden Ereignisse haben das auch gezeigt.

Konrad Freiberg, 59, ist Vorsitzender des Bundesvorstands der Gewerkschaft der Polizei

Es ist wichtig, den Menschen reinen Wein einzuschenken, und es ist längst überfällig, dass Innenminister de Maizière nunmehr öffentlich gesteht, dass sich Deutschland im Fadenkreuz des Terrorismus befindet und für unser Land eine reale Terrorgefahr besteht. Sie ist Teil des Alltags, und die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht, alle notwendigen Informationen zu erhalten. Allerdings dürfen Warnungen nicht dazu führen, dass man anfängt, sein Gegenüber in der S-Bahn zu verdächtigen. Solche Hysterie würde zu chaotischen Zuständen führen. Dennoch ist es sinnvoll, aufmerksam zu sein: Bevor die Terroristen aus dem Sauerland verhaftet wurden, kauften sie für offenbar private Zwecke große Mengen Chemikalien. Womöglich hätte das jemanden stutzig machen können. Aber wichtiger ist es, die polizeilichen Ermittlungsinstrumente zu verbessern: Wir brauchen beispielsweise dringend eine praxistaugliche Regelung zur Mindestspeicherfristen von Telekommunikationsdaten, denn kriminelle Absprachen werden heute über Mobiltelefone und Computer getroffen.

NEIN

Gesine Lötzsch, 49, ist Vorsitzende der Partei Die Linke und Bundestagsabgeordnete

Die Warnungen vor Terroranschlägen sind für mich nutzlos. Wachsam bin ich ständig. Wenn ich auf die Straße gehe, passe ich immer höllisch auf, um nicht in Hundekot zu treten oder von Touristen überrannt zu werden. Ich wäre überfordert, wenn ich mich auch noch um herrenlose Koffer und Pakete kümmern müsste. Die Warnungen dienen offensichtlich einem anderen Zweck. Sie sollen Angst und Misstrauen erzeugen und mehr Überwachung rechtfertigen. Sie stellen aber auch die Begleitmusik für den CDU-Bundesparteitag dar. Doch es könnte noch einen anderen Grund für den Innenminister geben: Die Koalition will den Militärischen Abschirmdienst (MAD) abschaffen und bei den anderen Geheimdiensten kräftig kürzen, das war zumindest vor einigen Tagen zu lesen. Das ist die beste Initiative, die diese Koalition bisher in ihrer Amtszeit gestartet hat. Offensichtlich sind die Postboten über Paketbomben eher informiert als die Schlapphüte. Die dramatischen Warnungen vor Terroranschlägen sollen demzufolge nicht die Bürgerinnen und Bürger schützen, sondern die Geheimdienste. Wenn der Bundestag wirklich die Budgets von Bundesnachrichtendienst, Verfassungsschutz und MAD zusammenstreichen sollte, dann wäre das eine herbe Niederlage für den Innenminister und eine Sternstunde der Demokratie.

Gerhart Baum, 68, ist FDP-Politiker und war von 1978 bis 1982 deutscher Innenminister

Terrorwarnungen verhindern zwar keine Anschläge, aber die Bevölkerung hat einen Anspruch über die Sicherheitslage im Land in Kenntnis gesetzt zu werden. Es ist richtig, dass Innenminister de Maizière warnt. Allerdings muss er sich jetzt dem Frachtverkehr zuwenden: Bei den Passagieren wird jede kleine Flasche Parfüm kontrolliert, während unten im Flugzeug unkontrolliert die Fracht mitfliegen darf. Es überrascht mich, dass hier ein Kontrolldefizit besteht. Allerdings halte ich nichts von der Aufforderung, man solle Verdächtiges melden, denn wie soll ich dies denn identifizieren? Ich befürchte aber, dass sich nun wieder Hardliner der Sicherheitspolitik melden. Es sind schon jetzt von Herrn de Maizière Pläne aus der Schublade Schäubles auf den Tisch gebracht worden: Mehr Befugnisse für Nachrichtendienste und Strafverfolgungsbehörden und die Verlängerung von Befugnissen in den Antiterrorgesetzen, die nur für eine begrenzte Zeit gedacht waren. Hinter seiner Sanftheit verbirgt de Maizière unter Bezugnahme auf die allgemeine Stimmung eine härtere Linie, die er jetzt – auch im Bezug auf die Vorratsdatenspeicherung –, so fürchte ich, verfolgen wird.

Assaf Gavron, 41, ist israelischer Autor und lebt in Berlin. Sein neuestes Buch ist „Alles paletti“

Endlich gibt es einen neuen israelischen Exportschlager in Europa: Terrorwarnungen. Im vergangenen Jahrzehnt sind sie in Israel zur täglichen Plage geworden. Als die israelischen Sicherheitskräfte einst ein tödliches Attentat auf einen Hamas-Anführer verübten, gab es an einem Tag allein 55 Terrorwarnungen. Aber was bringen diese Warnungen? Sie machen die Bevölkerung gestresster und paranoider, aber sie sind meist so vage, dass niemand einen praktischen Nutzen daraus ziehen kann. Terroristen werden deshalb kaum von einem Anschlag absehen. Eher werden sie vorsichtiger sein oder ein anderes Ziel suchen. Ich vermute, dass die einzigen, die von Terrorwarnungen profitieren, die Sicherheitskräfte selbst sind. Wenn sie vor einem Anschlag an einem Ort X warnen, demonstrieren sie nicht nur ein hohes Maß an Kompetenz, sondern machen auch die eventuellen Opfer ein Stück weit selbst verantwortlich – warum sind diese auch an den Ort X gegangen, obwohl davor gewarnt wurde? Wenn sie eine oder fünfzig Warnungen aussprechen und nichts passiert: Toll! Gott sei Dank ist niemand verletzt worden, und wer wird sich schon morgen an die Warnung von gestern erinnern? Wir sollten dankbar sein, dass Sicherheitskräfte hart für unsere Sicherheit arbeiten, aber Vorsicht: Mit Terrorwarnungen versuchen sie manchmal nur ihre eigenen Haut zu retten. So sieht es doch aus!