„Die Zahl der Vogeltouristen wächst“

Birdwatching liegt im Trend: eine Chance für die Tourismusbranche, sagt Vogelexperte Thomas Griesohn-Pflieger

taz: Herr Griehson-Pflieger, brauchen wir mehr Vogelschutzgebiete?

Thomas Griesohn-Pflieger: Das würde sich lohnen – auch wirtschaftlich. Nehmen wir das Beispiel Niederrhein: Jedes Jahr rasten dort rund 150.000 Gänse und es werden jedes Jahr mehr. Denn das Klima ist gut, es gibt viele Grünflächen, frisches Gras – für die sibirischen Gänse ist das Urlaub. Und mittlerweile wächst auch die Zahl der Vogeltouristen. Die bringen Geld in die Region. An der Ostsee zum Beispiel sind die Hotels während der Kranich-Saison ausgebucht, die Preise so hoch wie in den Sommerferien. Auch die hiesige Tourismusbranche sollte das Potential nutzen und Angebote für Vogeltourismus weiter ausbauen.

Ist Birdwatching ein neues Trendhobby?

Ich bin nicht der einzige, der das sagt. In den USA ist schätzungsweise jeder Fünfte Vogelbeobachter, in England gibt es mehr organisierte Vogelfans als Gewerkschafter. Auf der Fachmesse ‚Birdfair‘ werden in zweieinhalb Tagen ungefähr drei Millionen Pfund umgesetzt. Auch in Deutschland hat das Phänomen zugenommen. Es gibt immer mehr Literatur, Fachzeitschriften, Internetforen und spezielle Reiseangebote. Das ist wirklich ein Markt.

Was ist so faszinierend an Vögeln?

Sie verkünden uns die Jahreszeiten, es gibt Mythen und Märchen von Vögeln. Auch die Physik guckt sich bei Vögeln Ideen ab, zum Beispiel ist der Colibri Vorbild bei der Entwicklung von Hubschraubern. Vögel zu beobachten entspannt. Man ist in der Natur, erlebt mit allen Sinnen. Außerdem können sie fliegen, das hat die Menschen schon immer fasziniert.

Wer ist der typische Birdwatcher: ein Biologielehrer im Ruhestand?

Das Klischee vom Knickerbocker-Senior, der durch die Wälder zieht, stimmt schon lange nicht mehr. Es gibt zum einen die Ornithologen, die sich wissenschaftlich mit dem Thema befassen. Dann eine große Gruppe von Gelegenheits- oder Freizeitbeobachtern. Und die so genannten Twitcher, die durch die Welt reisen und neue Vogelarten suchen, die sie dann ‚twitchen‘, das heißt, abhaken. Das ist fast ein Sport, es geht darum, so viele verschiedene Vögel zu sehen wie möglich.

Wäre da Deutschland ein gutes Reiseziel?

Deutschland ist ein ideales Vogelland, weil es so unterschiedliche Landschaften bietet – die Ostsee, große Wälder, die Alpen. Wenn man Glück hat, kann man bis zu 500 verschiedene Vogelarten über das Jahr hinweg beobachten. In den Städten nimmt die Vielfalt derzeit sogar zu. Genauso nimmt sie aber auf dem Land ab. Das hat viel mit der landwirtschaftlichen und industriellen Nutzung von Freiflächen zu tun.

INTERVIEW: ANNE HERRBERG