Europa streitet um Arbeitnehmerschutz

Im Konflikt um die Entsenderichtline geht das Europaparlament auf Konfrontationskurs zur Kommission. Die befürchtet Protektionismus der jeweiligen Länder, die Abgeordneten hingegen die Aushöhlung von Sozialstandards

BRÜSSEL taz ■ Ausländische Arbeitnehmer sollen auch künftig ein Mindestmaß an sozialem Schutz genießen, wie ihn die Europäische Entsenderichtlinie von 1999 gewährleistet. Dafür sprach sich das Europaparlament gestern mit großer Mehrheit aus und ging damit auf Gegenkurs zur EU-Komission. Die hatte nämlich zuvor noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu diesem Thema die Vorschriften der Entsenderichtlinie in Frage stellt.

Die Kritik im Europäischen Parlament an dieser Rechtsauslegung durch die EU-Kommission geht quer durch die Parteien. Die Leitlinien seien „faktisch deckungsgleich mit den Artikeln der Dienstleistungsrichtlinie, die das Parlament gestrichen hatte“, sagt der Europaabgeordnete Thomas Mann (CDU). Im Bericht der grünen Abgeordneten Elisabeth Schroedter wird festgestellt, dass die Umsetzung der Entsenderichtlinie in den Mitgliedstaaten zu wünschen übrig lässt. Entsandte Arbeitnehmer seien über ihre Rechte oft nur unzureichend informiert. Schlüsselbegriffe der Richtlinie wie „Arbeitnehmer“ oder „Mindestlohn“ würden in jedem Staat der Europäischen Union anders ausgelegt. Die Leitlinien der Kommission aber liefen den Absichten der Entsenderichtlinie zuwider.

Dem widerspricht die Kommission. Man wolle „den Regierungen der Mitgliedstaaten, Unternehmen und Arbeitnehmern zu einem besseren Verständnis ihrer Rechte und Pflichten verhelfen“, sagt Sozialkommissar Vladimír Špidla. Andernfalls werde es zu teuren und zeitaufwändigen Rechtsstreitigkeiten kommen.

Die Entsenderichtlinie trat 1999 in Kraft, um Lohndumping vor allem auf dem Bau zu verhindern. So müssen zum Beispiel portugiesische Arbeitnehmer, die auf einer Baustelle in Deutschland arbeiten, mindestens den niedrigsten deutschen Tariflohn bekommen. Die Behörden können von den ausländischen Dienstleistungsfirmen verlangen, dass sie bestimmte Kontrollen beachten. Sie dürfen dabei nach Ansicht der Kommission aber nicht strenger behandelt werden als inländische Firmen.

So sei das Unternehmen des Entsendelandes nicht verpflichtet, über einen „ständigen Vertreter“ im Hoheitsgebiet des Aufnahmelandes zu verfügen. Wer seine Arbeiter zur Erledigung eines Auftrages in ein anderes EU-Land schicke, brauche dafür auch keine vorherige Genehmigung einzuholen, sagt die Kommission. Die Mitgliedstaaten dürften allerdings in bestimmten Sektoren eine „allgemeine Genehmigung“ verlangen, wenn zum Beispiel ein Installateur im Ausland Gasthermen an-schließen will. Bisher muss in Frankreich für jeden Auftrag eine extra Genehmigung beantragt werden.

Für die Wirkung der Leitlinien ist das gestrige Votum des Parlaments ohne Bedeutung. Die Europäische Kommission muss ihre umstrittene Interpretation der Entsenderichtlinie deswegen weder verändern noch zurückziehen.

Der Europäische Gerichtshof ist an diese Interpretation aber nicht gebunden. Die Abgeordneten in Straßburg können nur darauf hoffen, dass ihr Votum in künftige Grundsatzurteile der Richter zum Entsenderecht eingeht. DANIELA WEINGÄRTNER