DIE SANDINISTEN WOLLEN IN NICARAGUA DIE ABTREIBUNG VERBIETEN LASSEN
: Katholisch aus wahltaktischem Kalkül

Es war eine skurrile Feier, die am 19. Juli 2004 in der Kathedrale von Managua stattfand. Kardinal Erzbischof Miguel Obando y Bravo zelebrierte ein Hochamt zum 25. Jahrestag der sandinistischen Revolution. Die öffentliche Verbrüderung mit seinem alten Widersacher, Exrevolutionsführer Daniel Ortega, sollte sich für beide lohnen. Ortega trat ein Jahr später mit seiner Frau Rosario Murillo, mit der er mehrere Kinder hat und seit Jahren standesamtlich verheiratet war, vor den Traualtar. Das Kalkül: der über 80-jährige erzkonservative Kirchenfürst würde das nächste Mal nicht mehr in seinen Predigten vor einer Rückkehr der Sandinisten warnen. Gegen die Stimme der katholischen Kirche sind in Nicaragua keine Wahlen zu gewinnen.

Dreimal ist die Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) mit Daniel Ortega an konservativ-liberalen Gegnern gescheitert. In der noch immer strikt hierarchisch organisierten Partei wurde der Schwenk ohne Murren vollzogen. FSLN-Mitbegründer Tomas Borge erklärte, einer der größten Fehler der Revolution sei es gewesen, die Befreiungstheologie zu unterstützen und nicht die Amtskirche. Befreiungstheologen wie Ernesto Cardenal sind vor über zehn Jahren aus der FSLN ausgetreten. Deren Basis hat sich in Elendsviertel und proletarisierte Landgemeinden verschoben, wo nicht viel diskutiert wird und Ortegas Charisma ungebrochen scheint.

Es ist kein Zufall, dass Obando y Bravo die Rechnung nun serviert – mitten im Wahlkampf. Die Kriminalisierung jeder Form von Abtreibung ist ein altes Anliegen der Kirche. Mit dem simplen Slogan „Ja zum Leben, nein zum Mord“ stellte sich Rosario Murillo an die Spitze der durch Massenaufmärsche geschickt in die Medien getragenen Kampagne gegen die medizinisch indizierte Abtreibung. Den wenigen verbliebenen kritischen Geistern in der FSLN wird hinter vorgehaltener Hand beschieden: Keine Aufregung. Wenn wir erst an der Macht sind, machen wir den Unsinn wieder rückgängig. Doch bei den Frauenverbänden macht man sich keine Illusionen. Sollte Ortega die Wahlen tatsächlich gewinnen, wird er seinen Mehrheitsbeschaffer kaum durch offenen Verrat düpieren. RALF LEONHARD