Erziehung zum Soldaten

Nach der Foto-Affäre in Afghanistan soll die Bundeswehr-Ausbildung überprüft werden. Es fehlt an positiven Leitbildern für die Vorbereitung der Soldaten auf den Kampfeinsatz

Vorsichtig sein zu müssen in der Fremde bedeutet Stress. Wie man ihn aushält, ist Frage der ErziehungDer Tabubruch der Rekruten in Kabul diente vor allem der Entlastung vom Ernst des Soldatseins

Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung hat angekündigt, als Konsequenz aus dem Zwischenfall bei der deutschen Truppe in Afghanistan die Ausbildung zu überprüfen, die in der Bundeswehr die Soldaten auf Auslandseinsätze vorbereitet. Ganz gewiss ist das nicht falsch. Als vor geraumer Zeit im westfälischen Coesfeld Bundeswehrsoldaten mit Rekruten im Gelände Brutalo-Spielchen machten, wurde auch schon die Frage nach der Ausbildung gestellt.

Glaube niemand, sie sei nicht ernst genommen worden. Aber was beiden Vorfällen zugrunde liegt, ist kein Problem, dem durch veränderte oder neue Vorschriften beizukommen wäre. Es mangelt sicherlich auch nicht an Aufsicht im Dienst: Jeder Soldat weiß, dass das, was da geschehen ist, verboten ist, und auch solche, die es lieben, Verbote zu übertreten, wissen, dass das Geschehene unakzeptabel ist, nicht nur ein Dummejungenstreich. Die Frage ist nur: Warum tun einige von ihnen das, was jetzt allgemein beklagt wird, trotzdem?

Sie tun es wahrscheinlich nicht deshalb, weil sie meinen, solch obszönes Posieren mit Totengebeinen gehöre zum Typus des coolen Kämpfers. Das wäre immerhin ein Leitbild. Aber ein solches Leitbild ist nirgendwo aufzufinden, wo von Kämpfern – cool oder nicht cool – die Rede ist. Auch Provokationsabsichten sind kaum anzunehmen, denn es ist nicht zu sehen, wer da erreicht werden soll mit der Provokation und wie: Die verheerenden Bilder aus Afghanistan sind eher zufällig und erst sehr spät in die Öffentlichkeit gelangt. Mutmaßlich handelt es sich bei dem Vorgang also um eine grobe Regelverletzung, von der sich die Täter Entlastung erhoffen – vom Stress des Dienstes und der Angst, vom Bewusstsein der Allgegenwärtigkeit von Gefahren.

Das heißt aber nichts anderes als: Entlastung vom Ernst des Soldatseins. Bereitet die Bundeswehr ihre Soldaten in der Ausbildung auf solchen Ernst vor? Das war zumindest lange Zeit nicht so. Über Jahrzehnte hin durfte die Bundeswehr ihre Aufgabe dann als erfüllt ansehen, wenn sie nicht eingesetzt wurde. Der Soldat war dann ein guter Soldat, wenn er nicht gebraucht wurde, wenn er auch – allein aufgrund der Präsenz der bewaffneten Macht – nicht Angst haben musste, in Gefahr zu geraten, und auch keine Drohung darstellte, die anderen zu Furcht Anlass gab. Der Bundeswehrsoldat glich da dem Fußballer, von dem es heißt, er könne am Ball alles: säubern, aufpumpen, einfetten. Vom Toreschießen war nicht die Rede.

Aber der Bundeswehrsoldat, der in Afghanistan und anderswo auf der Welt Patrouille fährt, trägt kein Schild um den Hals, auf dem „Ich kämpfe nicht“ steht. Er ist schwerbewaffnet, und wer an seinem Einsatzort ihn dort lieber nicht sähe, nimmt die exzellente Bewaffnung des Bundeswehrsoldaten als ausschlaggebend dafür, wie man ihm gegebenenfalls zu begegnen hat. Man muss da nicht gleich von Angst sprechen, das Wort „Vorsicht“ reicht aus.

Solche Vorsicht beim Gegenüber wirkt auf den Soldaten zurück: auch er weiß, dass es hier besser ist, vorsichtig zu sein als burschikos vertrauensselig. Vorsichtig sein zu müssen in der Fremde bedeutet Stress. Da dem Soldaten keine Bewegungsfreiheit gegeben ist, diesem Stress auszuweichen, muss er den Stress einfach aushalten. Wie, das ist keine Sache der Vorschriften, sondern eine der Erziehung.

Soldaten werden erzogen, um ihren Auftrag ausführen zu können. Die Offiziere des preußischen Königs waren ebenso sehr davon überzeugt, ihre Soldaten zu erziehen, wie die der Wehrmacht. Das gelang nicht immer gut, und es ging allzu oft einher mit der Orientierung auf Ziele, auf die hin man sich die Soldaten nicht erzogen wünscht. Aber in erster Hinsicht sollte die Erziehung erreichen, dass der Soldat in Gefahr und in dem sicheren Bewusstsein, bei seinem Auftrag sein Leben aufs Spiel zu setzen und mit einiger Wahrscheinlichkeit zu verlieren, gleichwohl nicht nur gehorsam handelt, sondern auch vernunftgeleitet: Er muss ein Kämpfer sein mit aller Verve, die zu dem Begriff gehört, und er muss zugleich ein kühler Beurteiler seiner Lage und ein sicherer Nutzer seiner Waffen sein.

Die Erziehung dazu ist Erziehung zum Soldaten. Wer die Nahkampfschilderungen der Stoßtruppführer Erwin Rommel, „Infanterie greift an“, und Ernst Jünger, „In Stahlgewittern“, vergleicht, erkennt darin den Unterschied zwischen einem sorgfältig erzogenen Berufssoldaten – Rommel – und dem ungestümen, kaum ausreichend ausgebildeten Kriegsfreiwilligen – Jünger. Der Ordnung halber: Natürlich verfolgte das Buch Jüngers andere Ziele als das Rommels. Aber das macht nicht den ganzen Unterschied, wie der Leser leicht merken wird. Wichtiger ist, dass zu den Impulsen, die Rommel und Jünger antrieben, solche gehörten, die heutige Erziehung wohl weder erreichen kann noch will. Beachtenswert ist das Verhalten in der Situation des Kampfes, und dazu setzen Rommel und Jünger typisch unterschiedliche Akzente, wobei sie nicht ihren Absichten, sondern dem Charakter ihrer Erziehung folgen.

Die Bundeswehr tut sich schwer, für die Erziehung ihrer Soldaten geeignete Leitbilder zu finden, was den Kampf betrifft. Aus der Geschichte des Zweiten Weltkriegs wollte man sie bald schon nicht mehr nehmen. Das war aus wichtigen Gründen richtig. Ältere Leitbilder scheinen zu blass zu sein. Sie bei Soldaten anderer Nationen zu suchen, mutet abwegig an. Bei der Erörterung der Frage, ob es nicht auch schon für Bundeswehrsoldaten Denkmäler geben solle, hat man auf Soldaten verwiesen, die im Dienst – und im Einsatz für andere – ihr Leben verloren. Die dabei genannten Fälle sind bewunderungswürdig – aber sie waren nicht Teil einer Kampfsituation. Letztlich ist der Kampf die entscheidende Situation für den Soldaten. Das müssen die Bundeswehrsoldaten erst noch lernen, sofern man dies ohne eigenes Erleben überhaupt lernen kann.

Nicht die Armee, die Schule ist die Schule der Nation, hieß es einmal in Abwehr militaristischer Restbestände. Das ist richtig. Richtig ist aber auch, dass die Armee die Schule der Armee ist. Bei der Ausbildung der Soldaten muss ein Bewusstsein davon vermittelt werden, was es bedeutet, unter Umständen kämpfen zu müssen und Leuten gegenüberzutreten, die sicher sind, dass der gutbewaffnete Soldat dort auch wirklich kämpfen kann und will.

Erziehung dahin, also Erziehung zum Soldaten, ist schwierig und braucht Zeit. Sie steht aber nicht im Widerspruch zu den Grundsätzen der inneren Führung. Soldaten sind keine bewaffneten Sozialarbeiter. Und die Ablehnung des Einsatzes der Bundeswehr im Innern hat ihren Grund ja auch darin, dass die Soldaten für den Kampf da sind, aber nicht für den Polizeidienst.

Was Bundesverteidigungsminister Jung überdenken muss, ist ein Konzept zur Erziehung der Soldaten in der Bundeswehr. Lange hat man in Deutschland das Wort „Erziehung“ gemieden wie ein vergiftetes Gelände. Vielleicht war es das auch einmal. Aber ohne Erziehung geht es eben nicht. JÜRGEN BUSCHE