Den Verstand ausschalten

GOTH-ROCK Die kanadische Musikerin Melissa Auf der Maur kommt auf Tour

Wenn es eine Künstlerin gibt, die polarisiert, dann Courtney Love. Die Witwe von Kurt Cobain gilt vielen als drogensüchtiges Luder, unberechenbar und streitsüchtig. Allein ihr Ruf hat die kanadische Musikerin Melissa Auf der Maur zunächst abgeschreckt. Im Jahr 1994 war das, als Love sie als Bassistin für ihre Band Hole engagieren wollte. Auf der Maur lehnte erst mal ab. Bis Love sie persönlich angerufen hat: „Sie war völlig anders, als ich es erwartet hatte: intelligent, offen, leidenschaftlich.“ Weil die beiden Frauen eine Art Seelenverwandtschaft ausmachten, ist Auf der Maur doch bei Hole eingestiegen.

Nur ein Album hat die 38-Jährige mit dem Quartett aufgenommen, dann wechselte sie 1999 zu den Smashing Pumpkins: „Als ich ihr Repertoire einstudiert habe, bekam ich den besten Musikunterricht meines Lebens. Billy Corgan, der Songwriter, hat viel Wert auf Perfektion gelegt.“ Es bereitet der Kanadierin zwar Vergnügen, über ihre Erfahrungen bei den Smashing Pumpkins zu reden. Erstaunlicherweise tut sie ihre Zeit bei Hole aber mit einem „Da habe ich definitiv gelernt, mich neben den unterschiedlichsten Charakteren zu behaupten“ ab. Vielleicht ärgert es sie einfach, dass Love sie nicht für das jüngste Hole-Album ins Studio gebeten hat. „Deswegen war ich nicht sonderlich traurig“, wiegelt sie ab. „Ich hätte ohnehin keine Zeit gehabt, weil ich an meinem eigenen Album gearbeitet habe.“ Doch die Solokarriere der Musikerin, die für lange Zeit im Schatten anderer Stars ihren Dienst tat, gestaltete sich zunächst etwas mühselig. Eigentlich hätte ihr Debütalbum schon 2006 fertiggestellt sein sollen, aber ihre damalige Plattenfirma EMI entschloss sich mitten in der Produktion, den zuständigen A-&-R-Manager an die Luft zu setzen, so dass Auf der Maur zwangsweise unabhängig weitermachen musste. „Out of our Minds“ heißt ihr zweites Soloalbum. Wie man diesen Titel interpretieren darf, gibt der gleichnamige Song vor.

Musik und visuelle Kunst

Da lädt Auf der Maur ein, den Verstand auszuschalten und sich allein mit dem Herzen auf eine Reise in ihre Welt einzulassen. Das mag esoterische Untertöne haben. Nur steckt dahinter ein Konzept: Sie kombiniert Musik mit visueller Kunst. Auf der Maur macht nicht bloß ziemlich unprätentiösen Alternative Rock – mit Anleihen bei Industrial und Gothic. Zusätzlich zu ihrem Album erschien der gleichnamige Kurzfilm „Out of our Minds“, der die Songs zu einer Handlung verdichtet sowie die Nacherzählung der Songs als Comic. „Allein Klänge zu erzeugen, das reicht mir nicht. Deswegen habe ich mich in einer Band immer unfrei gefühlt.“

Jetzt, als Solistin, kann sie ihren eigenen Idealen besser entsprechen. Sie hat keine Scheu, den Gothrockstar Glenn Danzig, dem Idol ihrer Teenagerzeit, bei „Father’s Grave“ zum Duett zu bitten. Ihr Timbre passt wunderbar zu diesem Lied, vielleicht hat sie dort ihre beste Leistung als Sängerin abgeliefert. Dennoch: Hört man sich durch die übrigen Songs des Albums, muss man feststellen, dass die Balance zwischen Musik und Stimme nicht immer optimal ist. Zu dünn klingt der Gesang phasenweise, er lässt die Kraft vermissen, die Auf der Maur ohne Frage auf der Bühne zur Verfügung steht. Dafür spielt sie ihren Bass ungestüm, rockig, zuweilen mit treibender Melancholie. Sich dann ganz auf diese Tugend zu verlassen, funktioniert nicht über die volle Albumlänge. Ein bisschen herausfordernder und kantiger hätte die Musikerin ihre Botschaften schon rüberbringen dürfen. DAGMAR LEISCHOW

■ Melissa Auf der Maur, „Out of our Minds (Roadrunner), live 18. 11. Hannover, 19. 11. Köln, 27. 11. Hamburg, 28. 11. Berlin, 6. 12. München