Der Nahe Osten rückt näher

Kiel und Hamburg zelebrieren vom Wochenende an gemeinsam organisierte Kulturwochen zum Mittleren und Nahen Osten und scheuen dabei keine Tabus: Die Kriegsdienstverweigerer in Israel zum Beispiel

„Wir wollen keinen Frieden machen, sondern Öffentlichkeit herstellen.“ Dirk Scheelje, Vorstandsvorsitzender der Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein, stapelt gern tief, wenn er über die am Wochenende beginnenden Kulturwochen zum Mittleren und Nahen Osten in Hamburg und Kiel spricht.

Ein breites Spektrum von Diskussionsansätzen bieten die beiden Symposien, die die Böll-Stiftung gemeinsam mit der Nordelbischen Kirche und dem Kirchenkreis Kiel initiierten. Und weil sich die ägyptischen, israelischen, palästinensischen und deutschen KünstlerInnen des Initial-Symposions im April in Ammersbek bei Hamburg trafen, war folgerichtig, dass ein Teil der Folgeveranstaltungen in Hamburg stattfinden würde.

„piece oft art – peace oft art“ war der Titel des Künstlertreffens, der auch Motto der Kieler Nahost-Kulturwochen wurde. So unpolitisch, wie Scheelje vorgibt, ist das Programm dabei nicht: Kriegsdienstverweigerung in Israel nimmt etwa der Film „Den Frieden von unten gestalten“ in den Blick. Ein Thema, das die israelische Gesellschaft spaltet: Wer verweigert, gilt oft als schlechter Patriot. Das vom israelisch-arabischen Politiker Emile Shukri Habibi entworfene Modell der friedlichen Koexistenz im Nahen Osten prüft der Film „Since You‘ve Been gone“ auf seine Nachhaltigkeit. Und auf seine Tauglichkeit angesichts der aktuellen Situation, die auch der Tel-Aviver Soziologe Moshe Zuckermann – engagierter Kritiker der israelischen Politik – in den Blick nehmen wird.

Und wenn auch Pragmatismus angesichts ideologischer Diskussionen wenig beliebt ist, haben sich die Kieler Organisatoren doch erlaubt, die Auswirkungen der Nahost-Krise auf Kultur und Wirtschaft zu analysieren.

Apropos Kultur: Imre Kertesz‘ „Roman eines Schicksallosen“ , der angesichts der Teilnahmslosigkeit, mit der er das KZ Auschwitz beschrieb, 1992 zum Skandal geriet, vergegenwärtigt ein Monodrama im Flandernbunker. Versäumtes holt die Lesung aus der Biographie „Ich, Emilie Schindler“ nach, die der Partnerin des Lebensretters klare Konturen verleiht.

Der Hamburger Teil des Programms liest sich unpolitischer. Das ist schade, denn auch die dortige Kunstszene war schon weiter: Selbstkritisch nahm die israelische Video-Künstlerin Yael Bartana im September im Kunstverein die Spaltung der israelischen Gesellschaft, den Arachaismus des orthodoxen Judentums und den als patriotisch geltenden Militarismus in den Blick.

Die „Kulturwochen Mittlerer Osten“ bieten dagegen – abgesehen von einer Fotoschau über ein israelisch-palästinensisches Jugendprojekt und einem Vortrag über das Bild des Westens in der arabischen Welt – koptisch-orthodoxe Gottesdienste und ein Friedensgebet an. Das allerdings gibt es in Kiel seit zehn Jahren. Doch man soll hier nicht aufrechnen: Vielleicht liefern solche Rituale jenes Quentchen Spiritualität, das der Politik irgendwann eine positive Wendung geben könnte. PETRA SCHELLEN

Kulturwochen Mittlerer Osten, Hamburg: 4.–26.11. www.kulturwochen-hamburg.deKulturwochen Nahost – peace of art, Kiel: 5.–26.11. www.peace-of-art.de