Verhinderter Revolutionär

Wenn Josef Varga redet, spricht er mit einem rollenden süddeutschen Akzent. Manchmal kommen Grammatik und Wortstellung ein wenig durcheinander. Varga ist ein bodenständiger Mann. Er liebt seine Heimat – und hat gleich zwei. Als der Ungar vor 50 Jahren in München landete, tat er das nicht freiwillig: Er ist einer von 180.000 Menschen, die nach der Niederschlagung des Aufstands am 4. November 1956 Ungarn verlassen mussten.

Aufgewachsen ist Varga in einem landwirtschaftlich geprägten Örtchen im Westen des Landes. Sein Vater, ein Sozialdemokrat, verweigerte sich nach dem Zweiten Weltkrieg der Zwangsvereinigung seiner Partei mit den Kommunisten und musste Haus und Boden an eine Genossenschaft abgeben. Als Sohn politisch missliebiger Eltern hatte auch Varga keine andere Chance, als in einer Gießerei eine Lehre anzufangen. Dabei hätte er lieber Landwirtschaft studiert.

Identifikation holte er sich im Leistungssport, war begeisterter Segelflieger. 1955 wurde er in die Luftwaffe eingezogen, wo ihn im Oktober 1956 die Nachricht von den aufständischen Studenten in Budapest erreichte. „Ich weiß noch, wie der Oberst zu uns sagte: ‚Jungs, wir wollen uns da, so lange es geht, raushalten.‘ Varga wurde beurlaubt. Aus Freude über den vermeintlichen Sieg der Revolution marschierten am 26. Oktober vierhundert junge Leute zum Gebäude der Staatssicherheit. Darunter auch Varga und seine Sportskameraden. Soldaten feuerten auf die Menge, ein Drittel der Demonstranten starben. Darunter sein bester Freund. „Das waren friedliche Demonstranten“, sagt Varga mit Tränen in den Augen.

Als junger Offiziersanwärter musste Varga das Land verlassen. Die Grenze zu Österreich war von sowjetischen Truppen abgeriegelt. Im Novemberfrost konnten Varga und ein Freund während eines Wachwechsels fliehen. Im Auffanglager tauchte dann eine US-amerikanische Delegation auf, die sich gezielt einige der jungen Männer aussuchte. Es sollte einen Ausflug nach Wien geben, sagt Varga. Er endete in München. Hier wurden die Ungarn, allesamt mit militärischer Technik vertraut, angeworben: zur Spionage oder für den Koreakrieg. Varga war einer der wenigen, der den Versprechungen misstraute. Schließlich wurde er mit drei anderen in München „ausgesetzt“: „Wir standen am Stachus, kein Wort Deutsch, keine Arbeit, keine Unterkunft, kennst keinen Menschen – du kennst nicht einmal die Richtung.“

Varga wurde Hilfsarbeiter und lernte Deutsch. Zwei Jahre später hatte er einen Job in einer Gießerei in Böblingen, machte eine Ingenieursausbildung. Über den Sport lernte er Freunde kennen – beim Tischtennisspielen auch seine Frau Ilse, sein „Schwarzwaldmädel“. BARBARA MÜRDTER