Die neue alte Synagoge

Die alte Fachwerksynagoge in Bodenfelde zieht um und wird in Göttingen wieder aufgebaut. Die jüdische Gemeinde erhält damit wieder ein eigenes Gotteshaus – 68 Jahre nachdem ihre ursprüngliche Synagoge von den Nazis zerstört wurde

AUS GÖTTINGEN REIMAR PAUL

Früher hätte der Frost nicht kommen dürfen. Kurz bevor es am vergangenen Freitag zum ersten Mal in diesem Winter so richtig kalt wurde und der Boden an der Oberfläche gefror, standen die Wände fest in ihrem Fundament. 68 Jahre nach der Zerstörung der Göttinger Synagoge durch einen von den Nazis aufgehetzten Mob erhalten die Jüdinnen und Juden in der Universitätsstadt wieder ein eigenes Gotteshaus. Seit einigen Wochen sind die Bauarbeiten in Gang. „Am 15. Dezember wollen wir in dem Gebäude bereits den Beginn des Lichterfestes Chanukka feiern“, sagte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Göttingen, Harald Jüttner, der taz.

Es ist ein besonderes Bauprojekt. Denn auf dem Grundstück der Jüdischen Gemeinde am Rand der Göttinger Innenstadt entsteht nicht einfach nur ein Neubau. Dort wird vielmehr eine alte Fachwerksynagoge aus dem 50 Kilometer entfernten Dorf Bodenfelde im Solling originalgetreu wieder errichtet.

Die Synagoge ist fast 200 Jahre alt, Historiker datieren den Bau auf 1825. Nachdem die Nazis die kleine jüdische Gemeinde in Bodenfelde vernichtet hatten, erwarb ein Bauer das Gebäude. Es war nur deshalb nicht niedergebrannt worden, weil die SA ein Übergreifen der Flammen auf benachbarte Häuser befürchtete. Der Enkel des Landwirts war der letzte Besitzer, er nutzte die in einer Hofecke stehende Synagoge zuletzt als Stall und Schuppen.

Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Göttingen hatten die vor sich hin gammelnde Synagoge vor mehr als zehn Jahren zufällig entdeckt und mit dem Eigentümer eine Option für den späteren Kauf vereinbart. Denkmalpfleger, Restauratoren und Bauforscher staunten nicht schlecht, als sie unter mehreren Farbschichten an der Decke einen verborgenen, fein gemalten Sternenhimmel entdeckten. An anderen Stellen fanden sie unter blätterndem Putz geometrische Formen, Blumen und Ranken.

Zunächst hatten Denkmalschützer verlangt, das acht mal acht Meter große Gebäude als Ganzes zu versetzen, doch dies ließ sich aus Kostengründen nicht machen. So wurde die Synagoge in Einzelteile zerlegt. Riesige Tieflader brachten die tonnenschweren und mehrere Meter hohen Wandelemente nach Göttingen, mit Hilfe eines Krans und von Winden stellten Handwerker sie auf dem Gemeindegrundstück wieder auf. In einer Zimmerei waren zuvor die schadhaften Balken erneuert worden. Noch schützen dicke Spanplatten die mit Lehm gefüllten Gefache. In dieser Woche sollen die Arbeiten am Dachstuhl beginnen, kündigte der Gemeindevorsitzende Jüttner an.

Anders als im Fall einer kürzlich fertig gestellten Moschee, gibt es in Göttingen keine Kritik an dem Wiederaufbau der Synagoge. Zumindest keine, die öffentlich geäußert wird. Im Gegenteil – ein „Förderverein für ein Jüdisches Zentrum“ trägt die Kosten für den Abriss, Transport und Wiederaufbau des Gotteshauses. Für die dafür veranschlagten 200.000 Euro fehlen noch 50.000 Euro. Das Geld soll durch weitere Spenden und den Verkauf eines Wandkalenders mit Bildern vom Synagogenbau eingeworben werden.

Der Förderverein hatte im Jahr 2000 auch das 3.600 Quadratmeter große Grundstück gekauft und der Jüdischen Gemeinde übereignet. Unter anderem hatten die christlichen Kirchen dafür hohe Beträge gespendet.

Die vor zwölf Jahren wieder gegründete Jüdische Gemeinde in Göttingen hat nach eigenen Angaben etwa 200 Mitglieder. Die meisten von ihnen sind Einwanderer aus Osteuropa. Im vergangenen Jahr riefen konservative Juden in der Universitätsstadt noch eine Jüdische Kultusgemeinde ins Leben.

An die alte Göttinger Synagoge erinnert heute ein Mahnmal des italienischen Künstlers Corrado Cagli. Die Metallskulptur hat die Form eines Davidsterns. Jedes Jahr am 9. November kommen dort hunderte Göttinger zusammen, um der Novemberpogrome von 1938 zu gedenken. An diesem Donnerstag wollen Studenten über die Verstrickung der Göttinger Universität in das Nazi-Regime berichten. Am Mahnmal der Synagoge starten stets auch die Demonstrationen gegen Neonaziaufmärsche. Zuletzt hatten sich hier am 28. Oktober 4.000 Menschen zum Protest gegen einen Aufmarsch der NPD versammelt.