Chaos mit Ansage

TALIBAN Wer wissen will, wie sich der Afghanistan-Konflikt entwickelt und welche Rolle Pakistan gespielt hat, sollte Ahmed Rashid lesen

„Sturz ins Chaos“ ist die wohl beste Darstellung des Afghanistankriegs, der von Anfang an auch ein Pakistankrieg war

VON JÖRN SCHULZ

Wenn ein internationaler Konflikt ausbricht, hat es zuvor an Warnungen meist nicht gemangelt. Der Afghanistankrieg ist da keine Ausnahme. „Die USA könnten eine realistische Politik in Zentralasien entwickeln und sich mit der Bedrohung des Terrorismus befassen. Wird jedoch der Krieg in Afghanistan weiterhin ignoriert, können wir nur das Schlimmste befürchten.“

Der pakistanische Journalist Ahmed Rashid, Korrespondent für Daily Telegraph, BBC, Washington Post und andere, schrieb dies in seinem 2000 veröffentlichten Buch „Taliban“, das zu Recht als Standardwerk gilt. In der nun erschienenen Neuauflage wurde die historische Darstellung nicht aktualisiert. Tatsächlich hätten hier nur Details ergänzt werden können, die am Gesamtbild nichts ändern. Zwei ergänzende Kapitel schildern die weitere Entwicklung des Konflikts. Wer es genauer wissen will, findet in dem Buch „Sturz ins Chaos“ vom selben Autor die wohl beste Darstellung des Afghanistankriegs, der von Anfang an auch ein Pakistankrieg war.

Nichts Anstößiges

Bezüglich Rashids Kenntnisse über die Taliban und die pakistanische Politik kann wohl nur Syed Saleem Shahzad vom Magazin Asia Times Online mithalten, der sich jedoch, vermutlich um seine Kontaktmänner nicht zu verärgern, politischer Urteile enthält.

Rashid ist weniger zurückhaltend, er scheut sich nicht, Fehler zu benennen und Lösungen zu propagieren. Als journalistischer Besserwisser die Pose des Regierungsberaters einzunehmen, ist eigentlich eine Unsitte. Doch im Fall Rashids liegen die Dinge etwas anders. Er weiß es, zumindest was die „Realpolitik“ betrifft, tatsächlich besser. Überdies gehört er zu den wenigen Journalisten, deren Rat von hohen Politikern geschätzt wird, auch Barack Obama lud ihn zum Dinner. Wer bei der Lektüre des ersten Kapitels von „Sturz ins Chaos“ misstrauisch wird, weil Rashid den afghanischen Präsidenten „meinen Freund“ nennt, kann sich davon überzeugen, dass diese Freundschaft nicht bedeutet, Karsai Kritik zu ersparen.

Dass der Afghanistankrieg eine desaströse Entwicklung genommen hat und auch Pakistan destabilisiert, hat sich herumgesprochen. Die Lektüre beider Bücher macht verständlich, wie es dazu kam, und wartet mit manchen Überraschungen auf. Dass Ende der 1990er Jahre das iranische Regime kurz davor stand, eine Invasion in Afghanistan anzuordnen, während das US-Außenministerium nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban kommentierte, man könne „nichts Anstößiges“ an der Absicht finden, das islamische Recht einzuführen, ist weitgehend in Vergessenheit geraten.

Rashid will nicht den Eindruck erwecken, der Dschihadismus sei ein Produkt der westlichen Intervention. Beschrieben wird die Entstehung und Entwicklung einer Bewegung, die angesichts der gesellschaftlichen Zerrüttung und der allgegenwärtigen Gewalt zunächst als Garant von „Law and Order“ Akzeptanz fand, sich aber nicht nur gegen den traditionellen Islam wandte, sondern in zuweilen kuriosen Dekreten – im Anhang werden unter anderem Vorschriften über die Bartlänge und das Verbot der Taubenhaltung dokumentiert – auch weit über das im islamistischen Rahmen Übliche hinausging. Rashid benennt jedoch Interessen, Maßnahmen und Versäumnisse ausländischer Mächte, die den Aufstieg der Taliban begünstigten und ihre Bekämpfung behindern. Vor allem weist er unermüdlich auf die, milde ausgedrückt, dubiose Rolle Pakistans hin, dessen Geheimdienst die Taliban weiterhin unterstützt.

Seine realpolitischen Vorschläge sind in der Regel schlüssig, immer muss man seinem Urteil aber nicht folgen. Ob etwa die 2007 ermordete pakistanische Politikerin Benazir Bhutto, deren Rolle bei der Unterstützung der Taliban er in seinem ersten Buch beschreibt, tatsächlich mit Karsai „ein Team gebildet hätte, um den Kampf gegen den Extremismus aufzunehmen“, ist zweifelhaft.

Ursachen des Desasters

Rashid ist bekennender Interventionist, für ihn ist die Frage nicht, ob, sondern wie ausländische Mächte eingreifen sollen. Lesern aus der Friedensbewegung dürfte es missfallen, wenn er fordert: „Die deutsche Regierung muss ihre Soldaten ermächtigen, zu kämpfen.“ Fraglich ist, ob eine klügere Interventionspolitik ausreichen würde, um den Konflikt zu beenden.

Die Ursachen des Desasters könnten tiefer liegen, die wachsende Zahl der „failed states“ deutet darauf hin, dass in der Peripherie des globalisierten Kapitalismus sämtliche Mechanismen der gesellschaftlichen Integration versagen. Wer sich anhand der Lektüre beider Bücher noch einmal vor Augen geführt hat, was Herrschaft und Terror der Dschihadisten für die Menschen in Afghanistan und Pakistan bedeuten, dürfte aber auch erkennen, dass ein Abzug der Bundeswehr vielleicht die Befindlichkeit der Deutschen, nicht aber die Lage in der Region verbessern würde.

Ahmed Rashid: „Taliban. Afghanistans Gotteskämpfer und der neue Krieg am Hindukusch“. Aus dem Englischen von H. Riemann und R. Seuß. Beck, München 2010, 480 S., 14,95 Euro

ders.: „Sturz ins Chaos. Afghanistan, Pakistan und die Rückkehr der Taliban“. Aus dem Englischen von A. Steffes und H. Hoff. Edition Weltkiosk, Düsseldorf 2010, 340 S., 19,90 Euro