Neuer Streit um Wohngeld

Urteil des Bundessozialgerichts könnte Sozialressort in die Bredouille bringen: Ob ALG-II-EmpfängerInnen zu teuer wohnen, darf nicht nur mit der Wohngeldtabelle entschieden werden

von Armin Simon

Tausende von Bremer ALG-II-EmpfängerInnen können möglicherweise doch in ihren – bisher von der Bagis für zu teuer erachteten – Wohnungen bleiben. Darauf hat gestern die Solidarische Hilfe e. V. hingewiesen. Sie beruft sich auf ein Urteil des Bundessozialgerichts von Dienstag. Demnach „kann für die Frage, welche Unterkunftskosten für eine Bedarfsgemeinschaft im konkreten Fall angemessen sind, nicht von vornherein und pauschal auf die Werte der Wohngeldtabelle zurückgegriffen werden“.

In Bremen allerdings ist genau das der Fall. Ex-Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) schrieb der Bagis Anfang des Jahre sogar explizit per Verwaltungsanweisung vor, aus welcher Spalte der Wohngeldtabelle die zulässigen Mietkosten abzulesen seien. Die Bagis wies daher gestern alle Verantwortung von sich. Die Frage nach den zulässigen Unterkunftskosten, so Sprecherin Angela Wessel, „ist allein Sache der Kommune“. Man werde diese aber „bitten, die Verwaltungsanweisung im Lichte des Urteils nochmals zu prüfen“.

Herbert Thomsen von der Solidarischen Hilfe forderte Bagis und Senat auf, sämtliche angekündigten oder bereits durchgesetzten Kürzungen bei den Unterkunftskosten zurückzunehmen. Sie seien „offensichtlich rechtswidrig“. Betroffenen riet er zu Widerspruch und Klage.

Gemäß Röpkes Verwaltungsanweisung darf eine Ein-Personen-Wohnung maximal 265 Euro kosten. ALG-II-EmpfängerInnen in Bremen, deren tatsächliche Mietkosten darüber liegen, wurden von der Bagis aufgefordert, sich nach einer billigeren Bleibe umzusehen. Kommen sie dieser Aufforderung nicht nach, müssen sie – nach einer Schonfrist – die den Höchstbetrag übersteigende Miete aus eigener Tasche zahlen, das heißt von den 345 Euro, die ihnen monatlich als Grundsicherung zustehen.

Thomsen wies darauf hin, dass die Stadt gut 5.000 ehemaligen Sozialhilfe-EmpfängerInnen unter Verweis auf die Wohngeldtabelle schon seit Jahren die Mietkosten nur noch teilweise erstatte. Gleiches gelte für rund 2.000 ALG-II-EmpfängerInnen, die seit 2005 umgezogen seien. Insgesamt würden auf diese Weise bis zu 40.000 BremerInnen in eine „Superarmut“ getrieben, warnte er.

Das Sozialressort wies die Vorwürfe zurück. Man sehe „keinen Widerspruch“ zwischen dem Urteil des Bundessozialgerichts und der bisherigen Bremer Praxis, sagte Sprecherin Heidrun Ide. Sie verwies auf die „Einzelprüfung“, die die Bagis in jedem Fall durchführe, und die mannigfaltigen Ausnahmemöglichkeiten. So akzeptiere man etwa bei schulpflichtigen Kindern, die bei einem Umzug die Schule wechseln müssten, und bei der Pflege von Angehörigen auch höhere Mieten. Zudem schaffe das zeitlich gestaffelte Verfahren den Betroffenen Luft. „Es ist nicht so, dass wir einfach die Wohngeldtabelle nehmen und das war’s dann“, betonte Ide.

Die Grünen sahen sich gestern in ihrer Kritik an der Verwaltungsanweisung bestätigt. Diese sei „realitätsfremd“, zudem gebe es „offensichtlich viele rechtliche Bedenken“, sagte Fraktionschefin Karoline Linnert. Heute will sich die Sozialdeputation mit dem Thema beschäftigen.