Gott ist Veranstalter

Konzerte, Ausstellungen, Theater: Immer mehr Kirchen in NRW, meistens evangelische, holen sich Kultur ins Haus. Um Menschen anzulocken, zusätzliches Geld zu verdienen – oder aus Leidenschaft

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Die britische Band Faithless versuchte uns 1998 mit einem ihrer Dance-Hits weiszumachen, Gott sei nicht einfach nur Gott, sondern DJ. Was auch Pink, die Pop-Göre aus Doylestown, Pennsylvania vor zwei Jahren behauptete. Stimmt so halb. Denn tatsächlich hat Gott sein primär missionarisches Kerngeschäft kulturell ausgebaut: mit Konzerten, Ausstellungen, zuweilen auch mit Theater. In etlichen Kirchen Nordrhein-Westfalens werden nicht mehr nur Gottesdienste gefeiert; Gott betätigt sich auch als Veranstalter – muss halt zusehen, wie er seine Schäfchen bindet.

Unlängst zum Beispiel war Robert Fisher zu Gast bei Gott, genauer: in der Dortmunder Pauluskirche. Fisher ist das Mastermind der Willard Grant Conspiracy, einer US-Band, von der man nie genau sagen kann, wer ihr angehört, so häufig wechseln die Mitglieder. Dieses Mal aber war Fisher allein unterwegs. Was ausreicht, da dem Amerikaner unter seinem Vollbart ein mächtiger Resonanzkörper gewachsen ist, den er an diesem kühlen Dortmunder Abend vor den Altar hievte, um ein gutes Dutzend Schlaflieder ins Mikro zu brummen. Fisher ist ein kluger Geschichtenerzähler. Seine Songs, angesiedelt zwischen Folk, Indie und Rock, künden von Tod und Traurigkeit. Und als er ein Lied a cappella sang, war das sakraler als vermutlich beabsichtigt.

Das Konzert war ein seltenes Juwel, und den Besuchern merkte man eine gewisse Ehrfurcht an, die der Raum offenbar auf sie ausübte. Dabei hat sich insbesondere die Dortmunder Pauluskirche in den vergangenen Monaten zu einem populären Ort für Indie-Konzerte gemausert. Maximilian Hecker war da, der Schwede Tiger Lou, The Hidden Cameras aus Kanada. Und ein paar Kilometer weiter, in der Bochumer Christuskirche, ist das Themenspektrum noch etwas breiter: Hier spielt bald das Wuppertaler Vollplaybacktheater auf. Gleich zwei Mal. Titel des Stücks: „Die Drei Fragezeichen und der Teufelsberg“. Der erste Abend ist bereits ausverkauft. Ausstellungen, Popkonzerte, Hörspieltheater – es sind überwiegend evangelische Kirchen, die solcherlei Kunst in ihr Haus bitten. In katholischen Kirchen hingegen sind es meist die typischen Kirchengenres, die zur Aufführung kommen, Orgelmusik oder klassische Konzerte. Und ist es doch mal Theater, so transportiert es zumindest theologische Inhalte. „Wir haben eben ein anderes Verständnis von Kirche als geweihtem Ort und sind da etwas zurückhaltender“, sagt Ulrich Lota, Sprecher des Bistums Essen. Eine Kirche sei in erster Linie ein Ort, wo Gottesdienste gefeiert würden. Protestanten sehen das anders. Oder eben nicht so eng.

Die evangelische Kirche begann bereits vor mehreren Jahren auf verwaisende Kirchen zu reagieren. Wo sonntags die Bänke zunehmend leer blieben, vor allem in Innenstädten, entstanden so genannte City-Kirchen, die auch als Anlaufstätte für Touristen dienen, als Orte der Begegnung, der Kultur, des kurzen Innehaltens im alltäglichen Trubel. Das Konzept basiere auf einem anderen Gemeindebegriff, sagt Thomas Wessel, Pfarrer in der Bochumer Christuskirche. Bedeutet: Die Gemeinde ist nicht mehr jeden Sonntag gleich, nicht mehr so hermetisch wie früher. Heutzutage bildet sie sich im Vorübergehen, unterliegt einer regen Fluktuation, einem stetigen Kommen und Gehen.

Die Kulturkirchen seien deshalb oft „aus der Not geboren“, sagt Wessel. Mancherorts brauche man eben das zusätzliche Geld. Nicht jedoch in seinem Haus. Wessel, dessen Kirche neben dem Bochumer Rathaus thront, ist Veranstalter aus eigenem Antrieb. Und aus Leidenschaft? Sozusagen. Obwohl auch er manchmal Bands ins Haus lässt, die ihn eher kalt lassen. Zum Beispiel jene oft verlachte und rundum katholische Band, die gerade zu einer Akustik-Tour ausschließlich durch evangelische Kirchen aufgebrochen ist: die Kelly Family. Halleluja.