Unter ständiger Beobachtung

ÜBERWACHUNG In der Schau „Außer Kontrolle?“ im Museum für Kommunikation kann man das Thema Überwachung auch spielerisch angehen

■ Die Ausstellung „Außer Kontrolle“ im Museum für Kommunikation, Leipziger Straße 16, beleuchtet das „Leben in einer überwachten Welt“. Zu sehen ist sie bis 24. August, Di. 9–20 Uhr, Mi.–Fr. 9–17 Uhr, Sa./So. 10–18 Uhr. Eintritt 4, ermäßigt 2 Euro.

■ Im Begleitprogramm zur Ausstellung gibt es Workshops und Vorträge. Am Dienstag, 13. Mai präsentiert dabei Judith Elisabeth Weiss unter dem Titel „100 Prozent Sicherheit“ den panoptischen Blick in der zeitgenössischen Kunst. 18.30 Uhr, Eintritt frei. Info: www.mfk-berlin.de

VON BARAN KORKMAZ

Da ist zum Beispiel das Miniaturmodell eines kreisförmigen Gefängnisses, von dessen Zentrum aus wenige Menschen die Mehrheit überwachen können. Sinnbild für totale Kontrolle. Ein paar Meter weiter sieht man Schilder mit der Aufschrift „Bitte im Sitzen pinkeln“, „Die Reservierung eines Liegestuhls mit einem Handtuch ist nicht erlaubt“ oder auch „Verbot von Waffen und gefährlichen Gegenständen“. Ist das jetzt auch Kontrolle? Eher nicht. Hier geht es um Regeln, Normen, Gesetze.

Was aber überhaupt ist Kontrolle? Wer kontrolliert und warum kontrollieren wir? Um diese Fragen dreht sich die aktuelle Ausstellung „Außer Kontrolle? Leben in einer überwachten Welt“ im Museum für Kommunikation.

In drei Teile gegliedert, werden in der Ausstellung die zwischenmenschliche Kontrolle, unternehmerische Kontrolle und die staatliche Kontrolle thematisiert. Beim Gang durch die Schau kann der Besucher dabei jeweils die Rolle des Beobachters oder die des Beobachteten einnehmen. Etwa 200 Objekte – technische Geräte, Gemälde, Dokumente, Filme – machen das vielschichtige Phänomen der Kontrolle und Überwachung erfahrbar und anschaulich: etwa, indem man mit einem Spürgerät Wanzen ausfindig machen kann. Auch ist zu lernen, wie eine Kamera in ein Knopfloch oder in eine Kaugummipackung eingebaut werden muss.

So viel zu den spielerischen Momenten. Zuerst möchte die Ausstellung aber vor allem vermitteln, dass es sich bei Kontrolle zunächst einmal um ein soziales und gesellschaftliches Regulativ handelt. In wenigen Schritten geht es vom Pranger und Hinrichtungen als öffentliches Schauspiel zur Zurschaustellung von Menschen in den Nachmittags-Talkshows im Fernsehen heute.

Am stärksten ist die Ausstellung, wo sie Kontrolle und Überwachung problematisiert. Beängstigend, wenn zum Beispiel in einer Videoarbeit des Briten Chris Oakley die perfekt organisierte Konsumwelt vorgeführt wird, mit Einkaufszentren mit automatischer Gesichtserkennung, die die Konsumgewohnheiten der Besucher filtert und so das Verhalten steuert.

Den größten Raum schließlich nimmt in der Ausstellung die staatliche Kontrolle ein. Ein Bild Athanasius Kirchers von 1673 ist da zu sehen, in dem er seine Erkenntnisse über die Schallübertragung zum Bau von Abhöreinrichtungen vorschlägt, mit einem riesigen Hörtrichter, der von einem Raum in den anderen hineinragt, zum Belauschen einer Hofgesellschaft. Von Anordnungen zur totalen Postüberwachung in London 1845 ist zu lesen – die NSA lässt grüßen. Nicht fehlen darf die DDR, etwa mit einem Dampfentwickler aus den achtziger Jahren zum Öffnen der Briefpost.

Obwohl diese Schaustellung von staatlicher Überwachung der spannendste Abschnitt der Ausstellung ist, hält sie genau hier ihre Versprechen nicht ein. Denn ein zentrales Anliegen sollte sein zu zeigen, dass Kontrolle eben keine Erfindung des digitalen Zeitalters ist. Vielmehr sei sie tief verwurzelt in dem Wunsch nach einer geordneten Welt, die ein gewisses Maß an Sicherheit verspricht. Um aber diesen Aspekt der Conditio humana deutlich zu machen, bräuchte es eine kulturhistorische und auch philosophische Perspektive zu einer präziseren Klärung der Frage, inwiefern dem Menschen der Drang, zu kontrollieren und zu ordnen, inhärent ist. Die Ausstellung aber beschränkt sich auf die haptische Dimension der Überwachung – also mit welchen Geräten wurde und wird zu welchen Zwecken wie überwacht. Die dahinterliegende Frage „Warum Kontrolle?“ bleibt unberührt.

Schlusspunkt der Ausstellung ist eine Multimedia-Installation, die ihre Wirkung nicht verfehlt: „Memopol II“ des aus Estland stammenden Timo Toots. Gibt der Besucher hier Daten aus Identifikationsdokumenten wie dem Personalausweis ein, wird er gleich vor sich selbst vorgeführt. In einem dunklen, beengenden Raum erscheinen auf einer Projektionsfläche nach und nach alle Informationen aus nationalen Datenbanken und dem Internet: Wohnort, Profession, soziale Reichweite, Bewegungsprofile, Gesundheitszustand, erwartete Lebensdauer, Kaufverhalten. Das komplette Paket des digital footprint. Die eigene Person derart vor Augen zu haben entfaltet eine augenblickliche Erfahrung davon, was es heißt, in einer überwachten Welt zu leben. Das Abstrakte wird unmittelbar.

Übrigens: während der Ausstellung werden die Besucher gefilmt. Wer sich dem entziehen möchte, kann sich beim Betreten eine Papiertüte mit Gucklöchern über den Kopf ziehen. So schaut das dann aus, wenn man sich der längst in unser Alltagsleben eingeschriebenen Überwachung mal verweigern will: dass man sich mit seiner Papiertüte zum Idioten machen muss.