Don Giovanni im schwarzen Loch

Eine Formschwäche? Oder was? Das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier verschenkt Mozarts Oper

Der Anfang ist ein Schock. Denn zwischen den wuchtig heraus geschleuderten ersten Akkordblöcken der Ouvertüre lässt Samuel Bächli ein großes schwarzes Loch klaffen. Eine erfundene Generalpause, die bei Mozart so nicht steht und innerhalb von vier Takten eine Fallhöhe vorgibt, die für die folgenden dreieinhalb Stunden eine nicht zu haltende Behauptung bleibt.

Zeigt sich der Gelsenkirchener Generalmusikdirektor während der Ouvertüre noch konsequent einer schlank geführten und „historisch“ informierten Lesart verpflichtet, verliert er später deutlich an Profil und Präzision. Insgesamt scheint er bei der Inszenierung dieses „Don Giovanni“ einen fahrigen Abend erwischt zu haben. Zu oft wackelt es in der Koordination, zu oft verpuffen Mozarts Sprengsätze dieser „Oper aller Opern“ (E.T.A. Hoffmann) wie Nebelkerzen. Eine Formschwäche? Oder hat sich die Indifferenz, die Regisseurin Rosamund Gilmore auf der Bühne präsentiert, wie Mehltau über die Produktion gelegt?

Dass diese Inszenierung über ein gediegenes Mittelmaß nicht hinaus kommt, ist doppelt zu bedauern. Denn man hätte dem Haus, das in den (Neben)-Fächern „Rarität“ und „Belcanto-Ausgrabung“ kontinuierlich Außergewöhnliches leistet, auch in der Mozart-Königsdisziplin gewünscht, dieses hohe Niveau zu halten. Dabei weckt das Bühnenbild (Carl Friedrich Oberle) zunächst Interesse: orangefarbene Architektur, die weder Außen- noch Innenräume andeutet; ein Raum zeitloser Abstraktion, der sich in den auch von Oberle verantworteten Kostümen jedoch nicht fortsetzt, sieht man von ein paar mit dem Orange der Kulisse korrespondierenden Schleifen und Schals ab.

Das eigentliche Problem indes ist die mangelnde Typen- und Charakterzeichnung der Personen, die für die Damenwelt vor allem Klischees nachbetet: „Donna Elvira“ (Hrachuhí Bassénz) rollt mit den Augen in tantenhafter Hysterie, „Donna Anna“ ist blaß und keusch. Leah Gordons „Zerlina“ tändelt hilflos umher, in „Masetto“ (Melih Tepretmez) schillert zumindest eine beginnende Aggression, während Don Ottavio (Sergio Blasquez) in edler Einfalt bloß herum steht. Leporello (Joachim Gabriel Maaß) dagegen ist Don Giovannis gelehriger Schüler und selbst mit nicht wenig Raffinesse und Bosheit begabt. Auch sein Interesse gilt vor allem den Weibern, er nimmt gerne das, was vom Vorgesetzten abfällt und ist selbst beim Mord an dem Komtur ein kundiger Assistent. Der manische Verführer selbst kommt in Gelsekirchen mit jugendlicher Unschuldsmiene daher und wirkt auf den ersten Blick wie ein zu kühl gelagerter „Romeo“. Günter Papendell gewinnt im Laufe des Abends zunehmend Präsenz und steigert sich bis zum furios gesungenen Finale auch stimmlich. Und doch verschenkt die Regisseurin diese Szene. Der Racheauftritt des toten Komturs (Nicolai Karnlosky) wird zum bloß unschönen Streit mit dem angetrunkenen Helden, die anschließende Höllenfahrt des zynischen Frauenhelden zur unspektakulären Rutschpartie.

REGINE MÜLLER

Nächste Termine: 15.+ 30.11., 9.12., jeweils 19.30 Uhr, Infos: 0209-4097200