Keine Komfortzone

WOHNEN In der Wisbyer Straße in Prenzlauer Berg soll saniert werden, die Mieter fühlen sich drangsaliert. Der Hausbesitzer ist bekannt durch den Film „Betongold“. Heute schaut Grünen-Stadtrat Kirchner vorbei

Steinbrocken und Dreck liegen auf den Stufen im Treppenhaus

VON SEBASTIAN PUSCHNER

In Cornelia Hentschels Wohnung beginnt es jetzt muffig zu riechen. In der Küche, im Bad und im Arbeitszimmer tun zwar Ventilatoren und Trocknungsgeräte ihr Möglichstes. Doch die Ahnung von Schimmel, die in der Luft liegt, können sie nicht verhindern. Es muss ziemlich viel Wasser gewesen sein, das da vor mehr als zwei Wochen in Hentschels Wohnung geflossen ist.

Jene Wohnung gehört zu einem Haus in Prenzlauer Berg, in der Wisbyer Straße. Es ist ein altes Haus, im Gegensatz zu vielen in der Gegend schon lange nicht mehr saniert. Das soll sich ändern. „Eigentumswohnungen und exklusive Dachgeschosswohnungen“ kündigt ein Plakat an, das am Baugerüst über der Haustür prangt. Cornelia Hentschel sagt, sie wohne seit 25 Jahren hier, seit bald drei Monaten auf einer Baustelle und seit zwei Wochen in einer Wohnung mit Wasserschaden. „Das hier ist mein Zuhause, vieles habe ich auf eigene Kosten in Schuss gebracht.“

Abgeblätterte Tapeten

In Schuss gebracht werden soll auch die leere Wohnung über Hentschel. Vor zwei Wochen waren dort Arbeiter beschäftigt, was genau geschehen ist, wissen nur sie. Offenbar, so legen es Schilderungen von Anwohnern und anderen Handwerkern nahe, sollten sie eine Wand abreißen und beschädigten dabei ein Wasserrohr. Hentschel war gerade nicht zu Hause, die Nachbarn unter ihr alarmierten sie. Und erzählten, wie es bei ihnen von der Decke zu tropfen begann, sie hinaufstürmten und die Arbeiter um das Leck stehen sahen. Da war schon einiges an Wasser geflossen. Als Hentschel in ihre Wohnung trat, fand sie klatschnasse Decken und abgeblätterte Tapeten vor, einen schwimmenden Teppichboden und Laminat, das schon so aufgequollen war, dass sich die Badtür nicht mehr richtig schließen ließ.

Sie soll hier ohnehin raus, aus ihrem Zuhause. Der Vermieter hat eine Kündigung geschickt, weil sie Mietschulden haben soll. Tatsächlich, sagt Hentschel, habe sie eine Nebenkostenrückzahlung mit der Miete verrechnet. Das erkenne der Vermieter nun nicht an. Sie wehrt sich gegen diese Kündigung. Und sie wehrt sich gegen die Modernisierung. Oder besser: gegen die Art und Weise der Modernisierung.

Denn dass Hentschel und ihre Nachbarn gerade überhaupt Miete bezahlen müssen, das ist erstaunlich, nach allem, was sie erzählen, und was sieht, wer durch das Treppenhaus zu Hentschels Wohnung steigt. Steinbrocken und Dreck liegen auf den Stufen; das Geröll kommt aus leerstehenden Wohnungen, in die man wegen der offenen Türen blicken kann und die Arbeiter bereits teilweise entkernt haben. „Sie schmissen teilweise Schutt ohne Absicherung in den Innenhof, ohne Rücksicht darauf, ob unten gerade wer vorbeiging“, sagt Hentschel. Die Klingel funktioniert nicht, man muss an die Tür klopfen, an der ein Schild hängt: „Respekt bitte, hier wohnen Menschen.“ Dahinter brummen die Trocknungsgeräte, die Hentschels Hausratversicherung hat aufstellen lassen. Die Schäden muss der Verursacher beseitigen lassen. Darauf wartet Hentschel noch.

Der neue Eigentümer

Seit Januar hat dieses Haus in der Wisbyer Straße einen neuen Eigentümer: die Inter Stadt- und Wohnungsbau Wisbyer Str. 6 Grundbesitz GmbH. Ihr Geschäftsführer heißt Sascha Klupp. Wer den Grimme-Preis-gekrönten Film „Betongold“ gesehen hat, der kennt Klupp. Katrin Rothe, die Autorin des Films, dokumentiert darin, was in ihrem Haus in der Bergstraße in Berlin-Mitte geschah, nachdem er es übernommen hatte: Modernisierungsankündigung, Rauskaufangebote, Drohungen, anonyme nächtliche Anrufe, nicht reparierte Heizungen, Gerichtsverhandlungen. Klupp stellt sich im Internet als Experte für den Ankauf von Entwicklungsprojekten sowie deren Instandsetzung und Modernisierung vor.

Klupps Firma hat ein Haus gekauft, in dem noch etwa ein Drittel der 33 Wohnungen bewohnt sind. Dessen Hausmeister noch vor ein paar Jahren Passanten Einschusslöcher in der Fassade zeigte. Und das, so hat es wohl ein Handwerker einem Nachbarn erzählt, bald im selben frischen Grün erstrahlen soll wie das Nachbarhaus.

Überhaupt wüssten die Anwohner hier in der Wisbyer Straße 6, so sagen sie, nur von dem ein oder anderen Handwerker, was aus ihrem Haus genau werden soll. Modernisierungsankündigungen haben sie zwar erhalten, aber vom alten Eigentümer, von der alten Hausverwaltung: eine vor zwei Jahren und zwei weitere im Sommer 2013. Neue gedämmte Wände, neue Fenster, neue Leitungen, neues Dach, eine neue Zentralheizung und ein frisch gestrichenes Treppenhaus mit neuem Bodenbelag waren darin aufgeführt. Ebenso die Termine für die Arbeiten: Im November 2013 sollte alles fertig sein.

„Dass hier irgendwann einmal etwas gemacht werden würde, das dürfte jedem hier klar gewesen sein“, sagt eine Nachbarin Hentschels, die ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen will. „Aber bei dem Ausmaß bekommt man Existenzängste.“ 500 Euro warm statt 250 Euro kalt hätte die Sanierung für ihre etwa 50 Quadratmeter bedeutet. „Die meisten hier nehmen ja bewusst einen niedrigeren Komfort in Kauf, weil sie sich nichts anderes leisten können.“

Es änderte sich nichts am niedrigeren Komfort. Die Modernisierungsankündigungen blieben Ankündigungen. Die Frist verstrich, der Oktober ging vorbei, nichts geschah.

Stattdessen kam im November ein Begrüßungsbrief von der neuen Hausverwaltung und im Januar darauf ein Abschiedsbrief von der alten. Die neue Hausverwaltung schrieb, dass die Miete auf ein neues Konto überwiesen werden müsse und bald ein Gerüst für Arbeiten an der Fassade aufgestellt werde. Die alte Hausverwaltung schrieb, dass die neue Hausverwaltung sich bald vorstellen werde. Das tat die neue dann tatsächlich noch einmal, im März, diesmal schickte sie etwas mit, das die Bewohner im November noch vermisst hatten: einen Grundbuchauszug, um zu belegen, dass es einen neuen Hauseigentümer gibt und dieser sie wirklich beauftragt hat.

Auszug gegen Geld

Aber auch die alte Hausverwaltung meldete sich wieder: jener neue Hauseigentümer, Klupps Firma also, hatte sie ebenso beauftragt – mit etwas anderem: wahlweise mit dem Abschluss von Modernisierungsvereinbarungen, die eine höhere Miete nach der Sanierung vertraglich fixieren. Oder von Mietaufhebungsvereinbarungen: Auszug gegen die einmalige Zahlung von 150 bis 200 Euro pro Quadratmeter. Rauskaufangebote zeitgleich zum Aufbau der Gerüste um die Außenwände des Hauses und zum Beginn der krachenden Hämmerlaute aus den leeren Wohnungen. Erschütterungen im ganzen Haus seien zu spüren gewesen, erzählt die Nachbarin, der Riss in ihrer Decke sei eine Folge davon.

Also ausziehen?

Katrin Rothe, die „Betongold“-Autorin, verließ ihre Wohnung schließlich für 50.000 Euro. In der Wisbyer Straße haben bisher wohl zwei oder drei Nachbarn entsprechende Vereinbarungen unterschrieben. So genau redet darüber kein Nachbar mit dem anderen, auch wenn sie im Haus inzwischen sehr viel mehr miteinander reden als früher, als sich die meisten höchstens im Treppenhaus grüßten.

Sie begannen sich zu treffen und die eintrudelnden Briefe der Hausverwaltungen miteinander zu diskutieren. Sie tauschten untereinander aus, wer was von welchem Handwerker über geplante Baumaßnahmen erfahren hat. Erzählten sich von Unbekannten, die sich im Haus umsahen und auf das Baugerüst stiegen, um durch Spalte in den zugezogenen Vorhängen in die Wohnungen zu spähen. Sie gingen zusammen zu Mieterrechtsberatungen, engagierten eine Anwältin, gründeten eine Facebook-Gruppe und kontaktierten Bezirkspolitiker. An diesem Mittwoch will Pankows Grünen-Stadtrat Jens-Holger Kirchner mit Kollegen aus seiner Abteilung für Stadtentwicklung für eine Sitzung in das Haus in der Wisbyer Straße kommen.

Sie werden wohl eine Baustelle vorfinden, auf der es weniger geschäftig zugeht als in den vergangenen Wochen. Denn mit der Dämmung der Fassade im Innenhof haben die Arbeiter mittendrin aufgehört; nur an vielleicht einem Sechstel der Fläche hängen bereits die neuen schwarzen Schaumstoffmatten. Hentschel hat eine einstweilige Verfügung gegen die Dämmarbeiten erwirkt, sie sieht ihre im Bürgerlichen Gesetzbuch verbrieften Rechte verletzt. Dessen Paragraf 555 verlangt von Eigentümern, dass sie Modernisierungsmaßnahmen mindestens drei Monate vor deren Beginn ankündigen, mit datiertem Beginn und Dauer, Angaben zu einhergehenden Mieterhöhungen und möglichst mit einem Hinweis darauf, dass Mieter Einwände gegen eine Modernisierung geltend machen können, wenn sie sich von unzumutbaren sozialen Härten betroffen wähnen.

Anbau von Balkonen

Die von Klupps Firma beauftragte Hausverwaltung hat bisher nur eine Modernisierungsankündigung geschickt: für den Anbau von Balkonen. „Im Übrigen bleibt es bei den bereits angekündigten Maßnahmen“, steht in dem Schreiben. Den Maßnahmen also wohl, die Ende Oktober 2013 abgeschlossen sein sollten. Hentschels Anwältin sagt, es sei völlig unhaltbar, sich auf eine abgelaufene Ankündigung eines Alteigentümers zu berufen.

Dass eine einstweilige Verfügung eben einstweilig ist und mitunter nur aufschiebende Wirkung haben kann, das weiß Cornelia Hentschel.

Sie wäre jetzt erst einmal froh, wenn endlich die Wasserschäden in ihrer Wohnung behoben würden.