Der andere Blick

Vom arabischen Rebellensender zum internationalen TV-Imperium: Heute geht der englischsprachige Ableger von al-Dschasira auf Sendung

aus Dubai Julia Gerlach

Das Logo von al-Dschasira – arabische Schriftzeichen in Form eines Wassertropfens – ist ein internationales Markenzeichen im Journalismus. Vorbei die Zeiten, in denen der Sender aus Katar nur als Sprachrohr von al-Qaida gesehen wurde. Mittlerweile steht al-Dschasira für einen anderen Blick auf die Welt: für engagierte Berichterstattung, die Tabus in der arabischen Welt bricht, aufrüttelt, Diktatoren in dieser Region den Schlaf raubt. Nebenbei hat der mutige Sender aus dem kleinen Emirat Katar das Welterklärungsmonopol westlicher Medien gebrochen. „Wenn CNN zeigt, wo die Missiles abgeschossen werden, dann zeigen wir, wo sie einschlagen und wie es den Menschen am Einschlagsort geht“, sagt Al Anstey.

Anstey ist stellvertretender Nachrichtenchef des neuesten Projektes von al-Dschasira. Denn al-Dschasira ist längst nicht mehr der kleine Rebellensender, der aus einer unscheinbaren Baracke in Doha sendet: Al-Dschasira ist ein TV-Imperium, das neben dem Nachrichtensender einen Kinder- und einen Sportkanal betreibt. Heute um 13 Uhr (12 Uhr MEZ) bekommt die Krake einen weiteren Arm. Al Jazeera English soll den anderen Blick auf die Welt auch für Nichtaraber öffnen – 24 Stunden Nachrichten und Talk-Shows in englischer Sprache.

Die Idee, zusätzlich einen englischen Sender zu gründen, ist ebenso alt wie die westliche Empörung über die Berichterstattung des arabischen Senders. Quasi über Nacht wurde al-Dschasira im Westen berühmt und berüchtigt: Anfang Oktober 2001 sendete al-Dschasira die erste Videobotschaft von Usamma Bin Laden, und direkt anschließend lieferte der Sender schockierende Bilder über die Auswirkungen des Kriegs in Afghanistan. Viele westliche Fernsehstationen übernahmen die Bilder, stellten sie jedoch in ihren Kontext. Wäre es da nicht besser, sich direkt an die westlichen Zuschauer zu wenden und ihnen die andere Seite der Geschichte zu präsentieren?

Zunächst versuchte man, das arabische Programm mit Untertiteln zu versehen, doch mit mäßigem Erfolg. Sehgewohnheiten und Sprachgebrauch sind in West und Ost einfach zu unterschiedlich. Es wurden bekannte Gesichter und gestandene Journalisten westlicher Medien abgeworben. Riz Khan von CNN soll die Hauptnachrichten moderieren. Auch aus Asien, Afrika und Lateinamerika wurden TV-Stars eingekauft, um die dortigen Zuschauer zu erreichen. Die Führung bleibt jedoch in Hand arabischer Journalisten. Der Emir finanziert das Prestigeprojekt.

Al Jazeera English betritt auch technisch Neuland: Der 24-Stunden-Kanal verlegt während des Tages seine Sendezentrale von Kuala Lumpur über Doha und London weiter nach Washington. Gesendet wird so immer zur Primetime aus der richtigen Zeitzone. Doch wer soll das Programm gucken? Internationale Nachrichtensender werden – sieht man einmal von Journalisten, Politikern und Weltreisenden ab – nur wenig angeschaut. In Zeiten von Krieg und Krise mögen auch Normalzuschauer einschalten, ansonsten sind die Quoten von CNN International und BBC World erschreckend niedrig.

Diesen Sendern will al-Dschasira etwas entgegensetzen. Viele westliche Zuschauer wird der Sender damit nicht bekommen, so viel ist klar.

Anders sieht es möglicherweise in Südostasien oder auch in der muslimischen Gemeinde in den USA und Europa aus. Hier kommt ein anderes Element des Geistes von al-Dschasira zum Tragen: Viele junge Araber haben über al-Dschasira im Irakkrieg und vor allem dem Konflikt in Palästina ein gemeinsames Thema gefunden. Aus der arabischen Al-Dschasira-Gemeinde könnte jetzt durch Al Jazeera English eine neue muslimische TV-Gemeinde entstehen, die Abend für Abend vor den Bildschirmen sitzt und mit geballter Faust den ungleichen Kampf zwischen Palästinensern und Israelis im Detail verfolgt. Das schweißt zusammen. In der Berichterstattung über Europa will man sich auf die Probleme der Immigranten, der Muslime und der Integration konzentrieren, so Al Anstey.

Nachdenklich stimmt auch ein Blick auf die Webseite des neuen Senders. Der Ton der Berichterstattung ist ein gutes Stück antiamerikanischer als im arabischen Original. So ergeben sich Zweifel, ob der neue Sender tatsächlich dem besseren Verständnis der Menschen in West und Ost dienen kann und soll, indem er den anderen Blick auf die Arabische Welt den Zuschauern in Europa, Amerika und Asien zugänglich macht. Es ist vielmehr zu befürchten, dass er einer weiteren Spaltung in Ost und West, Muslim und Nichtmuslim, gut und böse dienen wird.