Weit weg und doch zensiert

FRIEDENSNOBELPREIS In Hamburg ist die größte chinesische Gemeinde in Deutschland zu Hause. Grund genug zu fragen, was sie von Liu Xiaobo halten

Wenige Tage vor der heutigen Verleihung des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo hat die chinesische Regierung ein Reiseverbot über Regimekritiker und deren Familien verhängt.

■ 19 Staaten haben bisher angekündigt, der Preisverleihung in Oslo fernzubleiben, darunter Russland, Kuba, Afghanistan und Serbien.

■ Mit „Konsequenzen“ hatte China jenen Ländern gedroht, die der Verleihung des Preises beiwohnen.

Ausland SEITE 10

Nach Bekanntwerden der Verleihung des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo wurde sein Name in China sofort zu einem der meist gesuchten Stichworte bei der Suchmaschine Google und ihrem chinesischen Pendant Baidu. Allerdings ohne Suchergebnis: In China wird der Ausgezeichnete totgeschwiegen. „Über Liu Xiaobo berichten die zahlreichen ausländischen Medien, in China hat man dagegen den Eindruck, als ob das gar nicht passiert wäre“, sagt der Künstler Ai Weiwei. „In solchen Momenten erkennt man, dass Chinesen in einer ganz anderen Welt leben.“

In Hamburg lebt mit rund 15.000 Mitgliedern die größte chinesische Gemeinde in Deutschland. Viele kaufen im Supermarkt Yuanye in der Innenstadt ein. Hier liegen ein paar kostenlose chinesischsprachige Zeitungen vor dem Reis-Stapel. Ein Mitarbeiter, der seit beinahe neun Jahren in Hamburg lebt, schüttelt den Kopf: Nein, er wisse nicht, wer Liu Xiaobo sei und was mit ihm passiere.

Die ebenfalls in Hamburg erscheinende größte chinesischsprachige Monatszeitung Europas, die Europe Times, veröffentlichte eine kurze Meldung über Liu. Auf die Frage, wie die Redaktion über Preis und -träger denke, wollte niemand antworten: Der Autor sei schwer zu erreichen, der Chefredakteur im Urlaub.

Im Internetforum der Europe Times dagegen wird sehr wohl Stellung genommen: „Ich hoffe, die chinesische Regierung überzeugt Liu Xiaobo, den Preis abzusagen. Das Preisgeld sollte er aber akzeptieren und der Regierung geben“, schreibt ein User. Ein anderer findet, dass der „Friedensnobelpreis heutzutage ein Witz sei, ein politisches Instrument Europas, um China zu provozieren. Chinas Außenpolitik ist zu freundlich.“

Der chinesische Schriftsteller Guan Yuqian, seit mehr als 30 Jahren in Hamburg, hält Chinas Außenpolitik nicht für klug. Mehr möchte er dazu nicht sagen. „Die Gehirnwäsche der kommunistischen Partei ist so erfolgreich, dass sie uns Grenzen setzt, obwohl wir tausende Kilometer vom Vaterland entfernt sind“, formuliert es der Nutzer eines chinesischen Internetforums in Hamburg.

„China ist heute schon eine zivilisierte Gesellschaft“, sagt eine Chinesin, die seit zehn Jahren in Hamburg arbeitet. Es sei aber auf jeden Fall falsch, jemanden ins Gefängnis zu schicken, bloß weil er sage, was er denke. Ihre Meinung über Liu und den Friedensnobelpreis erzählte sie gern, aber über sich und ihren Beruf wollte sie nichts sagen: „Warum fragst du so viel?“ ZOU YUE