Ohne Psychotest in den Auslandseinsatz

Bei der Bundeswehr sollen künftig nur noch Offiziere über die Eignung von Bewerbern entscheiden. Psychologen, die bislang jeden Kandidaten zu Gesicht bekamen, sind inzwischen vollauf mit der Betreuung der Soldaten im Ausland beschäftigt

AUS BERLIN CHRISTOPH GERKEN

Künftig wird die Bundeswehr einen Großteil der Soldaten auf Zeit einstellen, ohne sie von einem Psychologen im persönlichen Gespräch einschätzen zu lassen. Bisher war das gängige Praxis für jeden einzelnen Bewerber. Jetzt aber soll die Beteiligung des Fachmanns am Prüfgespräch zu Beginn des nächsten Jahres für alle Aspiranten auf die niederen Dienstränge entfallen. Dabei gehen viele dieser Soldaten schon sieben Monate nach Dienstantritt in den Auslandseinsatz, wo sie einer zunehmenden psychischen Belastung ausgesetzt sind.

Grund ist eine Personalumschichtung in der Bundeswehr. Immer mehr der bundesweit 185 Armeepsychologen werden zur Betreuung mit den Soldaten ins Ausland geschickt. Ihr Aufgabenbereich in der Eignungsfeststellung wird zusammengestrichen. Neueinstellungen kommen aufgrund der Sparvorgaben nicht in Frage. Im zivilen Bereich der Bundeswehr, zu dem die Psychologen gehören, sollen tausende Stellen abgebaut werden.

„Der psychologische Fachmann gibt dann nur noch eine Einschätzung nach Durchsicht der Akten“, warnt Oberstleutnant Rainer Stange, stellvertretender Leiter des Nachwuchsgewinnungszentrums Ost der Bundeswehr in Berlin. „Aber nach unseren Erfahrungen kann man nur nach Zeugnisnoten und Computertestergebnissen keine verlässlichen Aussagen treffen.“ Stange ist zuständig für das gesamte Verfahren der Eignungsfeststellung. Dem Prüfgespräch gehen ärztliche Untersuchungen, Computer- und Sporttests voraus.

In diesem Jahr haben bisher 2.300 junge Bewerber und Bewerberinnen aus ganz Ostdeutschland diese Testreihe im Berliner Zentrum erfolgreich absolviert. Aus den neuen Bundesländern kommt etwa ein Drittel aller neu eingestellten Soldaten auf Zeit. Nach dem Abzug der Psychologen soll vom kommenden Jahr an nur noch ein Offizier die Eignung all derjenigen beurteilen, die sich auf Dienstgrade ohne oder mit eingeschränkter Führungsverantwortung bewerben. Das wären im Nachwuchsgewinnungszentrum in Berlin mehr als zwei Drittel der Eingestellten.

Stange weiß aber, wie wichtig das abschließende Prüfgespräch ist, um einen unverfälschten Eindruck der Bewerber zu bekommen. „Bisher haben ein Offizier und ein Psychologe das Gespräch gemeinsam geführt und danach gleichberechtigt über die Eignung entschieden“, erklärt er. Nur der Psychologe könne die kognitiven und charakterlichen Eigenschaften des Bewerbers fachkundig bewerten.

Als „suboptimal“ bezeichnet Stange deren teilweisen Abzug in den Auslandseinsatz. „Was wir bisher noch präventiv bei der Einstellung angehen konnten, muss dann vermutlich im Nachhinein im Ausland geheilt werden“, warnt Stange.

Damit könnte sich die Zahl der Bundeswehrsoldaten, die während und nach Auslandseinsätzen unter psychischen Krankheiten leiden, noch einmal deutlich erhöhen. Schon jetzt hat sich die Zahl der Einsatzkräfte mit posttraumatischen Belastungsstörungen nach offiziellen Angaben in den vergangenen Jahren nahezu verdreifacht. Experten gehen darüber hinaus von einer signifikanten Dunkelziffer aus. Besonders betroffen: Rückkehrer aus Afghanistan.

Immer wieder hatten Wehrpolitiker zuletzt eine bessere psychologische Betreuung und Behandlung der Soldaten angemahnt. Dazu gehöre die psychologische Einschätzung der Soldaten vor Dienstantritt, findet Stange. Die bessere Betreuung im Ausland könne nicht auf Kosten der präventiven Arbeit gehen.