Nein

NEIN Was früher ein spannender Wettbewerb der Möglichkeiten war, ist heute zum unfairen Eliteprojekt verkommen

VON MARKUS VÖLKER

Europa ist ein Kraftprotz, meistens jedenfalls. Und Kraftprotze möchten sich messen. Der Fußball ist ideal dafür. Seit 1897 gibt es länderübergreifende Wettbewerbe wie den Challenge Cup oder den Mitropapokal. Das bis dahin größte europäische Fußballprojekt aber begann 1955 mit der Einführung des Europapokals. Die Wirren des Krieges waren halbwegs überstanden. In der Sportszene als Surrogat des Politischen konnte nun wieder die Frage erörtert werden: Wer ist der Beste, wer ist der King in Europa? Außerdem nervten diese Engländer, die das beste Fußballteam der Insel gern mal zum Weltmeister kürten, 1954 die Wolverhampton Wanderers. Resteuropa konnte es nicht hinnehmen, dass eine Elf aus einem Nest bei Birmingham die Welt und den Kontinent beherrschte – einfach so, ohne einen Wettbewerb mit den Spaniern von Real Madrid oder den Portugiesen von Benfica Lissabon.

Die Spiele um den Europapokal galten als sinnstiftend für den Alten Kontinent. Der Wettbewerb war bis in die 80er Jahre hinein ein Wettbewerb der Möglichkeiten, an dem sich auch Mannschaften aus dem Ostblock beteiligten. Und weil es so gut lief, expandierte der europäische Fußball. Seit 1960 wurde der Europapokal der Pokalsieger vergeben, seit 1971 der Uefa-Pokal. Damals gewannen Mannschaften Titel und Trophäen, die heute aus verschiedenen Gründen keine Chance mehr hätten: Slovan Bratislava, 1. FC Magdeburg, Celtic Glasgow oder IFK Göteborg. Der Wettbewerb der politischen Blöcke garantierte Abwechslung und Spannung, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs aber wurde der altehrwürdige und traditionsreiche Europapokal nicht nur umbenannt in Champions League und Europa League, er verkam auch mehr und mehr zu einem fußballerischen Elitenprojekt. Im Grunde ist daraus ein Vierländerkampf geworden: Immer finanzkräftigere Teams aus England, Spanien, Italien und Deutschland machen so gut wie immer die Titel unter sich aus. Dieses Länderquartett hat 101 Titel gewonnen. Mithalten können nur die Niederlande und Portugal mit zusammen 18 Titeln. Der Rest von Europa muss sich mit 22 Europapokalen begnügen.

Im europäischen Fußball haben wir es also mit einer Klassengesellschaft zu tun. Sechs Länder räumen ab, die restlichen 48 Mitgliedsverbände der Uefa, des europäischen Fußballverbandes, haben eigentlich keine Chance – auch deswegen, weil der Teufel immer auf den größten Haufen scheißt. Wer einmal in der großen Verlosung der Champions-League-Hauptgewinne drin ist, der scheffelt Kohle, mit Fernsehgeldern manchmal über 50 Millionen Euro pro Spielzeit. Europas Fußball hat sich kapitalisiert, und zwar kräftig. Ein fairer Wettbewerb – auch in den nationalen Ligen – ist wegen der extrem gepamperten Topklubs aus der Liga der Champions nicht mehr möglich. Auf europäischer Ebene dürfen sich die Fans immerhin damit trösten, dass sie den unterhaltsamsten Fußball des Kontinents geboten bekommen.