Experten fürchten Abschiebeflut

Verbände und Kirchen sehen in dem von den Innenministern beschlossenen Bleiberecht einen faulen Kompromiss

„Das wird ruckzuck zur Retraumatisierung führen“, sagt Hedwig Mehring. Für die Flüchtlingsexpertin der Caritas ist die Bleiberechtsregelung der Innenminister aus der vergangenen Woche ein fauler Kompromiss.

Dass von Bürgerkriegen traumatisierte, alte oder behinderte Flüchtlinge künftig für ihr Auskommen sorgen müssen, wenn sie nicht abgeschoben werden wollen, hielt auch Sigmar Wallbrecht vom Flüchtlingsrat bei einer Anhörung der niedersächsischen SPD-Fraktion für einen der vielen „Knackpunkte“. Wie der Kompromiss von den Ausländerbehörden umgesetzt werden soll, will Innenminister Uwe Schünemann (CDU) am kommenden Dienstag erklären.

Den Verbänden schwant Böses. Denn die Regelungen, nach denen Familien, die sechs Jahre und Alleinstehende, die acht Jahre hier geduldet wurden, ein Bleiberecht beantragen können, wenn sie Arbeit haben, geben nur den Rahmen vor, den die Länder ausgestalten können. Schünemann habe bereits angekündigt, dass diejenigen, die bis zum September keine Arbeit hätten, „beschleunigt“ abgeschoben würden, sagte Klaus-Peter Bachmann (SPD). „Im Herbst wird eine Flut von Anträgen auf die Härtefallkommission zukommen“, fürchtet Marion Wedell von der Arbeiterwohlfahrt. Nach Scheidungen werde offensichtlich die Ehezeit von ausländischen Ehepartnern nicht angerechnet, sagte Tim Gerber vom Verband binationaler Ehen.

Heidrun Böttger von der evangelischen Kirche fürchtet, dass in Niedersachsen künftig die Flucht ins Kirchenasyl als Behinderung der Behördenarbeit und damit als Abschiebegrund gewertet wird. Das konnte ein Sprecher des Innenministeriums nicht bestätigen: Es werde künftig aber stärker auf den Einzelfall ankommen. „Die humanitären Gesichtspunkte sind den wirtschaftlichen zum Opfer gefallen“, sagte Bachmann. Er hofft, dass die große Koalition im kommenden Jahr den Beschluss der Innenminister mit einem Bundesgesetz aushebelt. KSC