Christian Buss Der Wochenendkrimi
: Schmerzhafter Prozess

Ist sie eine skrupellose Karrieristin oder einfach nur eine gute Anwältin? Regina Zimmer führt Polizei und Staatsanwaltschaft während eines Sexualmordprozesses gnadenlos vor. Sämtliche Ermittlungsergebnisse diskreditiert sie als formal unbrauchbar. Kommissar Batic (Miroslav Nemec), der den Täter überführt glaubte, schäumt; Leitmayr (Udo Wachtveitl) will die Wogen glätten. Doch das ist fast unmöglich, muss er mit dem aufgewühlten Kollegen den zuvor Festgesetzten auch noch gegen den Volkszorn verteidigen.

Die Angstdebatte um die Sicherungsverwahrung von Triebtätern ist noch im Gange, da bringt der BR diesen überhitzten und zugleich kühl konstruierten Krimi. Zweifel an der Täterschaft des Freigesprochenen kommen nicht auf: Ja, das ist der Mann, der gleich am Anfang einen unendlich lang erscheinenden Augenblick den bewegungslosen Körper seines Opfers aus einem Lieferwagen wuchtet.

Ist „Nie wieder frei sein“ (Buch: Dinah Marte Golch) also eine Anklage gegen die Mängel unseres Rechtssystems? Nein, eben nicht. In der verwegenen erzählerischen Konstruktion werden zwei Frauen ins Zentrum gestellt: Hier die junge Melanie (grandios: Anna Maria Sturm), ein weiteres Opfer des Sexualtäters, die jeder Zukunft beraubt ist und nun auch noch ihren Peiniger davonkommen sieht; dort die brillante Nachwuchsanwältin (ebenso grandios: Lisa Wagner), die den rechtlichen Rahmen für ihren Klienten ausschöpft, weil eben jeder Mensch ein Recht auf konsequenten juristischen Beistand hat.

Regisseur Christian Zübert hat neben einigen Folgen „KDD“ vor allem Komödien gedreht, direkt im Anschluss läuft sein extrem schluffiger Kleinkriminellenfilm „Hardcover“. Im „Tatort“ geht er weit über die Grenzen des üblichen Primetime-Problemplauschs: Wie er die Grundlagen des Rechtsstaates schmerzhaft auslotet, ohne dabei in Populismus zu verfallen, ist furios – eine Gerichtstragödie.

München-„Tatort“: „Nie wieder frei sein“; Sonntag, 20.15 Uhr, ARD