Musik zum Krieg

RATATAT Die CD-Box “ … next Stop is Vietnam“ ist eine verstörende Kontroverse zum Zuhören und Nachlesen. Frappierend sind die Parallelen zur aktuellen Politik

„Kampf gegen den Kommunismus“ damals, „Krieg gegen den Terror“ heute

VON BERND PICKERT

Es ist ein gewaltiges Werk. Dreizehn CDs und ein umfassendes englischsprachiges Booklet, eigentlich ein Katalog, machen das Album „… next Stop is Vietnam. The War on Record: 1961–2008“ aus, das kürzlich erschienen ist. Aus über 4.000 US-amerikanischen Songs über den Vietnamkrieg oder wenigstens mit einem Bezug zu dem bis dato längsten Krieg der US-amerikanischen Geschichte haben die Autoren mehr als 300 ausgewählt, thematisch wie chronologisch gruppiert und mit dokumentarischen Versatzstücken angereichert. Herausgekommen ist eine akustische Zeitreise, die es in sich hat.

Neben einigen ikonografischen Stücken der Zeit, etwa Country Joe McDonalds’ durch Woodstock berühmt gewordenen „I Feel-Like-I’m Fixin’-To-Die-Rag“ und bekannten Protestsongs von Tom Paxton, Pete Seeger oder Peter, Paul and Mary sind es gerade jene 280 Stücke, von denen wir noch nie etwas gehört haben, die die Auswahl so aufregend machen.

Und: Es ist eine vertonte Kontroverse, deren Ingredienzien wenig an Aktualität verloren haben. „Universal Soldier“, 1964 von Buffy Saint Marie geschrieben und später von Donovan berühmt gemacht, kennt man noch. Aber die Antwort darauf, „Universal Coward“ von Jan Berry ein Jahr später, ist weniger bekannt. Sie gehört zur durchaus reichhaltigen Liste von Anti-Protest-Songs, die einer konservativ-patriotischen Wut auf die wachsende Friedensbewegung rund um die großen Universitäten Ausdruck verlieh – und in ihrer Drastik den Springer-Kampagnen gegen die 68er in nichts nachsteht. Feiglinge, Kommunisten, Verräter und Schmarotzer werden da jene geschimpft, die mit dem öffentlichen Verbrennen ihrer Einberufungsbescheide auf sich aufmerksam machten. „Kampf gegen den Kommunismus“ damals, „Krieg gegen den Terror“ heute, für „Freiheit“ damals, für „Sicherheit“ heute – die Polarisierung der Vereinigten Staaten ist kein Produkt der Ära Bush.

Heldengesänge und Todesverklärung, wie man sie aus allen Kriegen der Welt kennt, haben musikalisch ihren Platz gefunden – in allen Genres. Die „Ballade von den Green Berets“ stand 1966 wochenlang auf Platz 1 der US-Charts: Fighting soldiers from the sky / Fearless men who jump and die / Men who mean just what they say / The brave men of the Green Beret. Musikalisch einfach gestrickt, wurden das Lied und sein Sänger zum wichtigen Propaganda-Instrument der Rekrutierungsbüros der US-Armee. Demgegenüber steht Phil Ochs’ Call it „Peace“ or call it „Treason,“ / Call it „Love“ or call it „Reason,“ / But I ain’t marchin’ any more in der musikalischen Tradition des Folk-Protestsongs.

Selbst das Massaker von My Lai 1969 fand seine Fortschreibung in den Songs – jenen, die das Kriegsverbrechen verurteilen, und jenen, die den Befehlshaber, Lieutenant William Calley, verteidigen. Beide sind ausführlich in der Sammlung vertreten, und so ist das Album eine Chronik geworden, die ihr Ziel, „zu unterhalten und zu unterrichten“, mehr als erfüllt.

Selbst die Nachwehen des Vietnamkrieges haben Aufnahme gefunden, von den Liedern über The Wall, das Vietnamkriegs-Denkmal in Washington, über die Drohungen an Saddam Hussein vor dem Golfkrieg 1991 „Don’t give us a reason“.

Die Sammlung ist ein Schatz. Einfach zuhören, lesen, weiterhören.

„… next Stop Is Vietnam. The War On Record: 1961–2008. By Hugo Keesing, edited by Bill Geerhart“. 13 CDs und 300 Seiten Katalog mit vielen Abbildungen. 195,00 €, erhältlich auch im tazshop unter www.taz.de