Treffpunkt des Jetsets

Rund 800 Riads wurden in Marrakesch schon von Ausländern gekauft. Das belebt das einheimische Handwerk. Die marokkanische Stadt ist bei Ausländern beliebter Zweitwohnsitz. Auch Franz Beckenbauer feierte hier seinen Geburtstag

von KERSTIN SPECKNER

Aus den kleinen Metallwerkstätten auf beiden Seiten der Gasse dröhnen hämmernde Geräusche davor spielen Kinder Fußball, laut ist es und heiß. Lastkarren und Mopeds bahnen sich hupend ihren Weg. Aus den Läden rufen die Händler, sobald sie Touristen entdecken „Bonjour Madame!“, Bonjour Moustache!“: Unentdeckt schafft es kein Fremder durch das Revier der Händler in der Altstadt von Marrakesch.

Dass jemand in diese Stadt kommt, um Ruhe zu finden, ist schwer zu glauben. Dennoch suchen hier in der Medina viele gestresste Europäer Erholung und Ruhe. „Unsere Gäste kommen, um hier abzuschalten“, erzählt Gabriele Sindele, die im Riad Noga, mitten in der Medina, die Gäste betreut. Aus zwei typischen Altstadthäusern, in denen sich die Zimmer um einen schattigen Garten, den eigentlichen „Riad“ gruppieren, hat die deutsche Besitzerin ein kleines Hotel gemacht – in marokkanischem Stil.

Ruhig ist es hier tatsächlich, die rosafarbenen Mauern, die Marrakesch den Namen „rote Stadt“ einbrachten und eigentlich die starken Sonnenstrahlen erträglicher machen sollen, scheinen auch das quirlige Leben der Gassen vollkommen zu absorbieren. Bis auf die Geräusche des hauseigenen Papageis ist es vollkommen still im Hof. In den kleinen Stadtpalast kommen viele Geschäftsleute, um sich für ein paar Tage zurückzuziehen – sie wohnen hier in individuell eingerichteten Zimmern, deren Bäder mit marokkanischen Mosaiken verziert sind. Die Ruhe inmitten des orientalischen Trubels kostet mindestens 150 Euro pro Zimmer.

Wer sich nach draußen begibt, braucht einen guten Orientierungssinn: Der Weg durch die Altstadt, entlang an kilometerlangen rosa Mauern, ist nicht leicht zu finden. Der Lageplan, der im Riad ausliegt, wo dünne, schwarze Striche die verwinkelten Gassen darstellen, ähnelt eher einem abstrakten Kunstwerk als einer Orientierungshilfe. Auf der Dachterrasse des Hotels stehen dunkle Holzliegen mit weißen Polstern für ein Sonnenbad. Von hier oben kann man auf den kleinen Pool im Innenhof blicken – oder auf die anderen Dächer: Wo Wäsche und Satellitenschüsseln das Bild prägen, wohnen noch einheimische Familien, dort, wo schmiedeeiserne Frühstückstischchen oder Liegen stehen, sind die Altstadthäuser Hotels geworden.

Rund 800 Riads wurden in Marrakesch bereits von Ausländern gekauft. Um die 80.000 Euro kostet ein kleiner, unsanierter Stadtpalast. Frisch renoviert mit Pool und offenem Kamin ist er nur für mehrere hunderttausend Euro zu haben. Vor allem Franzosen und Engländern haben zugeschlagen, aber auch einige Deutsche. Viele machten aus den orientalischen Immobilien Hotels.

Dass die neuen Medinabewohner ihre Häuser „echt marokkanisch“ wollen, hat sich herumgesprochen und bereits ausgewirkt: „Viele traditionelle Handwerke, wie das Holzschnitzen oder Fliesenleger, wären längst ausgestorben, wenn es nicht eine so große Nachfrage durch die Ausländer gäbe“, sagt der Leiter des örtlichen Fremdenverkehrsbüros. Er ist selbst in den Gassen der Altstadt aufgewachsen und weiß, dass die Zugezogenen und ihre Gäste die Gemeinschaft dort verändert haben: „Dort, wo ich aufgewachsen bin, kostet der Besuch des Hamams jetzt zehnmal so viel wie früher, weil sie dort jetzt auch Wellnesspakete für Touristen anbieten.“ Andererseits verdienen viele Marrakescher an den Gästen, und sei es durch den Verkauf des eigenen Altstadthauses. Die Immobilienpreise sind in die Höhe geschnellt: „Lieber an einen Ausländer verkaufen als an einen Marokkaner vermieten“ lautet die Devise der einheimischen Riadbesitzer.

Einen Teil des Jahres in Marrakesch zu verbringen ist längst nicht mehr nur Sache von Prominenten, obwohl die Stadt in den letzten Jahren zum Treffpunkt des internationalen Jetsets geworden ist. Einer der Ersten war Yves Saint Laurent, der eine Villa nordwestlich der Altstadt besitzt. Den dazugehörigen Garten voll seltener Pflanzen hat er für Besucher geöffnet. Will Smith, Brad Pitt und Angelina Jolie reisen regelmäßig in die „rote Stadt“. Alain Delon besitzt eine Villa in der Altstadt.

Die Stadt hat sich bereits auf zahlungskräftige Gäste eingestellt: edle Restaurants, die eine Mischung aus französischer und marokkanischer Küche servieren, Golfplätze, Nobeldiskotheken und Wellnesstempel. Was all diese Luxustummelplätze eint, ist westlicher Standard mit marokkanischem Flair. Man geht durch schwere Holztore, die Pools sind mit marokkanischen Mosaiken gefliest, als Süßigkeiten werden mit Mandeln gefüllte „Gazellenhörnchen“ gereicht.

Und das Marrakeschrosa ist überall präsent. Rosa sind sogar die Bauzäune aus Blech, die die neuesten Baustellen verdecken sollen, um das Stadtbild nicht allzu sehr zu stören. Denn gebaut wird überall in Marrakesch – in der Altstadt, wo aus Familienheimen Hotels oder Wochenendhäuser werden, am Stadtrand, wo die ehemaligen Altstadtbewohner hinziehen, und einige Kilometer vor den Toren von Marrakesch. Hier liegt Agdal – oder zumindest das, was einmal zum noblen Stadtteil Agdal werden soll. Noch gleicht es einer Mondlandschaft. Die ist allerdings durchzogen von mehrspurige Avenuen, die noch völlig unbenutzt sind. Auf den riesigen Freiflächen dazwischen trocknet Unkraut in der Sonne. Nichts versperrt die Sicht auf die Gipfel des nahen Atlasgebirges. Hier sollen Luxushotels und Villen entstehen. Eine der wichtigsten Zielgruppen sind marokkanische Touristen. In der fast tausend Jahre alten Stadt, die dem Land seinen Namen gab, suchen Marokkaner ihre Wurzeln – oder das Nachtleben. Beispielsweise im Pacha, dem größten Nachtclub Afrikas, der tagsüber zwischen den Baustellen und dem Brachland kaum auffällt.

Bis 2010 soll es 60.000 klassifizierte Hotelbetten in Marrakesch geben. Heute sind es erst gut die Hälfte, die sich im Residenzviertel L’Hivernage, nahe der Altstadt, aneinanderreihen. Hier feierte Franz Beckenbauer im September seinen 61. Geburtstag, im Anschluss an einen Fifa-Kongress, mit Brezeln und Weißwürsten, so heißt es. Vom orientalischen Flair merkt man hier wenig, auch wenn die Hotelklötze mit Türmchen und Toren versehen und marrakeschrosa gestrichen sind: Das Viertel wirkt – tags und nachts – ausgestorben. Auf den palmengesäumten Avenuen mit den kunstvoll getöpferten Abfalleimern, die etwa alle hundert Meter die menschenleeren Gehwege säumen, tuckern einige Taxis auf der Suche nach Fahrgästen und Pferdekutschen herum.

Lebendiger ist es in Gueliz, der arabischen Neustadt, nur wenige hundert Meter von den leblosen Hotelkolossen entfernt. Vor dem Glaskasten der „DaVinci“- Immobilienagentur, die auf Riads spezialisiert ist, steht eine junge Marokkanerin in Jeans und T-Shirt und macht sich Notizen. Die 23-jährige Hanan sucht hier kein neues Zuhause, sondern einen Job. Ein „motivierendes Gehalt“ verspricht der Aushang in dem Kasten, Fremdsprachen sind ein Muss. Hanan, die Englisch studiert hat, setzt auf ihre guten Sprachkenntnisse: „Gerade die Briten sind verrückt nach Riads“, sagt sie.

In der nahegelegenen McDonald’s-Filiale laufen auf dem riesigen Flachbildschirm an der Wand arabische Videoclips: „Subhan Allah“ – Gepriesen sei Gott – heißt der Song. Doch der religiöse Titel täuscht, statt strenger Mullahs tanzt im Clip ein verliebtes Pärchen vor einem nagelneuen Jeep. Auch Orientalisches ist hier im Angebot, der „MacArabia“ und der „petit oriental“, bei dem das obligatorische Hackfleisch im Fladenbrot steckt und die Mayonnaise mit exotischen Gewürzen verfeinert ist. „So etwas bestellen doch nur Touristen“, sagt die junge Frau hinter dem Tresen.