Wer ist hier lächerlich?

THEATER Die Uraufführung von Sven Regeners und Germar Grimsens „Angulus Durus“ erfreut mit ihren Videoprojektionen und enttäuscht mit statischem Erzähltheater

Es gibt unendlich viel Erzählung, allerdings kaum Handlung auf der Bühne

VON JENS LALOIRE

Es ist gut was los in der Schwankhalle. Gleich zwei Premieren an einem Abend. Während im Neuen Saal die Theaterwerkstatt der Hochschule Bremen Irvine Welshs Roman „Trainspotting“ auf die Bühne bringt, kommt es nebenan im Alten Saal zur Uraufführung von „Angulus Durus“ – einem Drehbuch, das die Autoren Germar Grimsen und Sven Regener 2006 gemeinsam veröffentlicht haben und das im Gegensatz zum längst zum Kultfilm avancierten „Trainspotting“ als unverfilmbar gilt. Die Regisseurin Kristina Brons hat sich von diesem Urteil nicht schrecken lassen und das Drehbuch nun für die Bühne adaptiert.

Erzählt wird in „Angulus Durus“ die Geschichte von Eckhart, einem Eigenbrötler, der ein Außenseiterdasein in Bremen-Huchting fristet. Er liebt Karin und Nutella, aber niemand liebt ihn – und auch er selbst hält nicht viel von sich, weshalb er eines Tages seinem Elend ein Ende setzen will. Doch sogar der Selbstmordversuch scheitert. Gespielt wird dieser klassische Antiheld von Mateng Pollkläsener, den man vor allem als grandiosen Grimassenschneider des Trios Theatre Du Pain kennt. Mit einem unwiderstehlich breiten Grinsen auf den Lippen starrt Pollkläsener alias Eckhart zu Beginn der Inszenierung ins Publikum und sorgt somit bereits für Lacher, bevor der erste Satz fällt: „Ich bin ein lächerlicher Mensch.“

Ein schöner Auftakt, vor allem da dieser Eckhart in seiner zur Schau getragenen Lächerlichkeit eher liebenswert als närrisch oder gar verrückt wirkt. Lächerlich macht ihn vielmehr die Gesellschaft, die über seine Naivität, Sehnsüchte und Träume den Kopf schüttelt. Insbesondere die drei ihm zur Seite gestellten Figuren sind mindestens ebenso läppisch wie der von ihnen Verspottete – auch wenn sie das selbst nie so freimütig eingestehen würden. Da ist zum einen der Vater, ein bildungsbeflissener Straßenbahnfahrer, der sich für seinen Sohn schämt; und da sind zum anderen eine Kommissarin und eine Psychologin, die etwas über die Hintergründe eines Brandes erfahren wollen, in den Eckhart verwickelt sein könnte. So entspinnt sich eine Art Doppelverhör, in das die beiden Frauen Eckhart nehmen und das den Großteil der Inszenierung ausmacht. Ergänzt wird das Spiel auf der äußerst karg eingerichteten Bühne durch Videoprojektionen, in denen Eckharts „Freunde“ zu Wort kommen. Sie schildern Anekdoten, die Eckhart bloßstellen sollen, jedoch in erster Linie die brutale Gleichgültigkeit dieser Menschen vor Augen führen. Diese Videosequenzen sind die Höhepunkte des Abends. Hier entstehen die authentischen Momente, die auf der Bühne fehlen. Hier tummeln sich die Charaktere, denen man ihre Rollen und Storys abnimmt, während weder Vivien Bullert die Psychologin noch Nicole Erichsen die Kriminalbeamtin glaubhaft verkörpern. Ihren Figuren mangelt es an Tiefe, ihre Emotionen variieren zwischen genervt und hysterisch.

An vielen Stellen erklärt sich darüber hinaus nicht, warum die beiden sich plötzlich so aufregen. Vielleicht, weil es jetzt einfach mal laut werden muss, um den leicht monoton anmutenden Erzählstrom zu durchbrechen? Denn ein Hauptproblem der Inszenierung ist: Es gibt unendlich viel Erzählung, allerdings kaum Handlung auf der Bühne. Um das zu kaschieren, wird ein Cappuccino mal tanzend serviert und mit Sprühsahne verziert, laufen die beiden Frauen parallel mit ihren Mobiltelefonen am Ohr hektisch herum oder rollen auf Bürostühlen über die Bühne. Der Bürostuhl ist insofern wichtig, als Eckhart einst seinen Wellensittich mit einem solchen überfahren hat. Doch Drive bringen die über die Bretter rollenden Sitzgelegenheiten nicht ins Stück, da hilft auch die peppige Musik vom Band nicht. Abgesehen von ein paar lustigen Momenten, die sich an der Situationskomik und manch aberwitzigem Satz-Pingpong entzünden, vermag das Geschehen auf der Bühne nicht zu bestehen gegenüber den Videoprojektionen.

So stellt sich nach 90 Minuten die Frage, ob man das nicht auch in einer szenischen Lesung allein mit Mateng Pollkläsener sowie den Videoprojektionen effektiver hätte lösen können. Und es bleibt offen, ob „Angulus Durus“ nicht bloß unverfilmbar, sondern auch unaufführbar ist und deshalb „Trainspotting“ für den Zuschauer die bessere Wahl gewesen wäre.

■ die nächsten Aufführungen von „Angulus Durus“: Samstag (heute), Sonntag & 5. bis 8. Juni, jeweils 20.30 Uhr, Schwankhalle