Rüttgers-Fans bleiben treu

Christ- und Freidemokraten aus NRW stehen auch nach dem Debakel beim CDU-Bundesparteitag zum Ministerpräsidenten. Exlandeschef Norbert Blüm lobt Jürgen Rüttgers: „Zeit arbeitet für ihn“

VON ANNIKA JOERES
UND MARTIN TEIGELER

Norbert Blüm hat der Auftritt von Jürgen Rüttgers in Dresden gefallen: „Meinen Respekt hat er, er ist standhaft geblieben.“ Mit seinem Antrag für eine verlängerte Zahlung von Arbeitslosengeld für Ältere habe der NRW-Ministerpräsident eine sozialere CDU gefordert. „Langfristig wird die Partei die sozialen Notwendigkeiten nicht ausschwitzen können“, sagt der frühere CDU-Bundesarbeitsminister. „Der Neoliberalismus hat seine beste Zeit hinter sich“, so Blüm. Die Menschen hätten es satt, nur als Kostenfaktoren behandelt zu werden.

Blüm kann mit seinem Nachfolger als NRW-Parteichef mitfühlen: Ende 2003 war der Expolitiker auf einer CDU-Regionalkonferenz in Düsseldorf ausgebuht worden, weil er das Parteikonzept zur Kopfpauschale kritisiert hatte. „Wer kontroverse Positionen vertritt, kann nicht maximale Stimmen ernten“, sagt er. Auch er sei schon abgestraft worden auf Parteitagen. So war es NRW-Ministerpräsident Rüttgers in Dresden ebenfalls ergangen: Er hatte bei der Wahl der vier stellvertretenden CDU-Vorsitzenden am Montagabend mit 57,72 Prozent das mit Abstand schlechteste Ergebnis erhalten. „Natürlich war das betrüblich, und es hat auch wehgetan“, sagte Rüttgers. Sein Antrag hingegen wurde von den Bundesdelegierten ebenso angenommen wie der Antrag aus Baden-Württemberg, der unter anderem Lockerungen beim Kündigungsschutz vorsieht.

Die NRW-Linie werde sich durchsetzen, glaubt Norbert Blüm. „Die Zeit wird für Jürgen Rüttgers arbeiten.“ Auch der Düsseldorfer Koalitionspartner baut Rüttgers auf. „Natürlich hätten wir Rüttgers ein besseres Ergebnis gegönnt“, sagt FDP-Generalsekretär Christian Lindner. Rüttgers habe aber eine Mehrheit für den ALG-Antrag aus NRW bekommen, das sei entscheidend. Seiner Ansicht nach haben die Christdemokraten in Dresden verkannt, wie groß das Bedürfnis der Bevölkerung nach Sicherheit ist. „Aber diese Erkenntnis wird auch in der CDU wachsen“, sagt Lindner. Rüttgers habe mit seinem Antrag Mut bewiesen, er habe gewusst, dass er einen politischen Preis dafür zahlen müsse. CDU- und FDP-Politiker aus NRW wollen Rüttgers‘ ALG-Vorschlag nun in Berlin weiterverfolgen – obwohl die SPD den Plan bereits abgelehnt hat.

Bei der Landes-CDU macht sich derweil eine regelrechte Wagenburg-Mentalität breit. In Telefonkonferenzen wurde gestern die Verteidigungslinie nach dem Dresdner Debakel abgestimmt, Journalisten bekamen dies in standardisierten Sprachregelungen à la „Jetzt erst recht“ zu spüren. „Wir machen genau da weiter. Die Sache ist es wert“, sagt CDU-NRW-Generalsekretär Hendrik Wüst. Der größte CDU-Landesverband habe in den vergangenen Monaten das Profil der Union „schon entscheidend verändert“. Diesen Weg werde die Landespartei fortführen, so Wüst. Zuvor hatte sich der Parteimanager in Wähler- oder Delegiertenbeschimpfung geübt: „Die Partei muss noch lernen zu unterscheiden, was eine notwendige Debatte und was überflüssiger Streit ist.“ Die NRW-CDU stehe „geschlossen“ hinter Rüttgers, sagt Helmut Stahl, CDU-Fraktionschef im Düsseldorfer Landtag. Rüttgers habe sich auf dem Bundesparteitag „inhaltlich durchgesetzt“. Das Wahlergebnis sei „der Preis für das Profil“.

„Jürgen Rüttgers wird einer der wichtigen Ministerpräsidenten bleiben“, sagt die Berliner Politikwissenschaftlerin Ingrid Reichart-Dreyer. Auf den Landesverband NRW sei jede Bundesvorsitzende angewiesen – auch Angela Merkel. „Rüttgers hat ein Warnsignal gesetzt. Er spricht für einen großen Teil der CDU-Wählerschaft“, so die Forscherin. Diese Gruppe sei älter als 45 Jahre, im Wohlstand aufgewachsen und habe das Vertrauen in die Politik verloren. „Die Ängste dieser Wähler vor der Globalisierung hat Rüttgers auf den Punkt gebracht“, sagt Reichart-Dreyer. Auch wenn er jetzt einen Dämpfer bekommen habe, bleibe seine Forderung nach einem sozialeren Profil der Union auf der Tagesordnung. „‚Sozial ist was Arbeit schafft‘ reicht als CDU-Programm nicht aus – da liegt Rüttgers mit seiner Kritik richtig.“