Eine Lobby für den Lärm

10 Jahre hat die Fluglärmkommission dafür gesorgt, dass tausende Bremer unnötig Fluglärm ertragen mussten. Erst nach massiven Protest erkennt sie an: die Wesertal-Route ist schonender

von Armin Simon

Rein ins Parkhaus, Treppen hoch, Tür auf. Auf einmal stehen sie im Flur: gut 70 Hemelinger und Huckelrieder, im Flughafenverwaltungsgebäude, vierter Stock. Vor ihrem Bauch Transparente, in der Hand einen Packen Unterschriften, an die 1.000 Stück. Flieger, die vom Bremer Flughafen aus Richtung Osten starten, sollen wieder über dem Wesertal nach oben steigen anstatt über Hemelingen und Osterholz, steht darauf. Es ist Dienstag vor einer Woche, im Saal tagt die Fluglärmkommission (FLK). Flughafen-Chef Manfred Ernst wittert Hausfriedensbruch und ruft die Polizei, es kommt zum Tumult, jemand kollabiert, Sanitäter eilen herbei. „Schlag auf Schlag“, sei das alles gegangen, berichtet Ingo Funck, Ortsamtsleiter in Obervieland und zugleich Vorsitzender der FLK. Zur Unterschriftenübergabe kommt es nicht. „So nicht“, sagt Funck.

Dabei war die Kommission hinter verschlossenen Türen bereits im Sinne der Demonstrierenden umgeschwenkt. Die Mehrheit, verkündete Funck tags darauf, habe eine „Flugroutenänderung in Aussicht gestellt“. Weil sowohl ein Gutachten der Deutschen Flugsicherung als auch eine von der EU verlangte Fluglärm-Kartierung des Umweltsenators bestätigten: Drehen die Flieger bereits über der Weser in Richtung Süden ab, belastet das weniger Menschen mit Lärm als wenn sie erst noch geradeaus über ganz Hemelingen und Osterholz fliegen.

Diese Erkenntnis ist nicht neu. Im Gegenteil: „Schon 1997“, sagt Ralf Bohr, Vertreter des Beirats Hemelingen in der Kommission, „haben Gutachten eindeutig für die Wesertal-Route gesprochen.“ Die Deutsche Flugsicherung (DFS) hatte damals für alle Abflugrichtungen aller Flughäfen bundesweit die Variante mit der niedrigsten Lärmbelastung ermittelt. Ergebnis: Die auf Vorschlag der Bremer Fluglärmkommission im Jahr 1994 neu festgelegte Route übers Funkfeuer Hemelingen fiel als einzige in Bremen durch. Lärmoptimiert, stellte die DFS schon damals fest, sei vielmehr die zuvor jahrzehntelang benutzte „Wesertalroute“.

Die Fluglärmkommission kümmerte das nicht. Den Antrag des damaligen Fluglärmschutzbeauftragten auf Rückverlegung der Route lehnte sie Ende 1998 mehrheitlich ab. 2002 stimmt sie, auf Drängen der Vereinigung zum Schutz Flugverkehrsgeschädigter e.V. (VSF), einem Test zu: Zwei Jahre lang starten die Flieger wieder über dem Wesertal. Evaluation: positiv. Die Mehrheit der FLK votiert dennoch weiter für die Hemelinger Route.

Warum, kann heute weder Funck noch der Sprecher der DFS in Bremen, Karl Geßner, sagen. Auch der Petitionsausschuss, der mehrmals nachhakte, erntete nur Achselzucken. Eine „harakirimäßige“ Entscheidung sei das damals gewesen, erinnert sich Bohr: „Das ging ganz fix.“ Eine Begründung findet sich in keinem der Protokolle. „Die Daten waren nicht ausreichend“, heißt es im Umweltressort heute. Geßner drückt es anders aus: Die Beibehaltung der Wesertal-Route, sagt er, „scheiterte damals an der Fluglärmkommission“.

„Über zehn Jahre sind viele Menschen um Lärmminderung betrogen worden“, sagt VSF-Vorsitzende Monika Morschel. Jetzt können sie endlich auf Entlastung hoffen. So wie Eberhard Kiel. „Jeden Tag“, erzählt der Huckelrieder, hole ihn der Donner des ersten startenden Jets aus dem Bett, morgens um 6.05 Uhr. Votiert die FLK tatsächlich für die Wesertal-Route, „kann ich wieder schlafen bis in die Puppen“.

Infoveranstaltung am 6.12. um 18 Uhr im Ansgaritorsaal, Wegesende 23