Die Hyperrealisten

INTERVENTIONEN Kommunikations-Guerilla in Sachen Menschenrechte: Zentrum für politische Schönheit

BERLIN taz | Spektakulär und nie ganz uneitel sind die Aktionen des „Zentrums für politische Schönheit“ (ZPS), eines Zusammenschlusses von Aktionskünstlern, Menschenrechtlern und Kreativen. Auf den Bundestag verübten sie einen „Thesenanschlag“, auf die Eigentümer der Waffenschmiede Krauss-Maffei-Wegmann setzten sie ein Kopfgeld von 25.000 Euro aus, ihre Panzerfabrik wollten die Aktivisten mit einem Betonsarkophag stilllegen. Ihre Aktionen, bei denen Inszenierung der Beteiligten nie zu kurz kommt, bezeichnen sie gern als „Hyperrealität“: eine Art Pre-Enactment des Wünschenswerten.

Mitte Mai teilten die Aktivisten mit, für die Bundesregierung ein Aufnahmeprogramm für 55.000 syrische Kinder gestartet zu haben, und suggerierten, für das Familienministerium tätig zu sein. Eine dazugehörige Internetseite trug das Ministeriumslogo. Darauf fanden sich Bilder von Kindern, die ein Foto der Ministerin Manuela Schwesig in Händen halten. Die Aktivisten waren nach eigenen Angaben in Aleppo und „haben direkt mit Kindern gedreht“. Schwesig wies jede Beteiligung an dem Projekt zurück, verzichtete aber auf rechtliche Schritte. Die Bundesregierung lud die Aktivisten und zwei Holocaustüberlebende zu einem Gespräch ins Kanzleramt ein.

Parallel errichtete das ZPS in der Berliner Friedrichstraße eine sogenannt Flüchtlingszulassungsstelle und hielt eine „Große Abendshow ‚1 aus 100‘“ ab. Dabei konnte das Publikum darüber abstimmen, welches syrische Kind von der deutschen Bundesregierung gerettet werden soll.

Die Aktion bezog sich auf die Ausreise von über 10.000 jüdischen Kindern, die kurz vor Kriegsende meist aus dem Deutschen Reich nach Großbritannien gebracht wurden. Oft waren sie die einzigen aus ihren Familien, die den Holocaust überlebten. CHRISTIAN JAKOB