Vom tödlichen Wahnsinn

Der Komponist Detlev Glanert hat aus Albert Camus‘ Drama „Caligula“ eine Oper gemacht. Doch die Inszenierung in Köln vermeidet jeden Hinweis auf aktuelle Despotien und Sonnenstaatstendenzen

VON FRIEDER REININGHAUS

„Du bist zurück“. Mit diesen Worten streichelt die schon nicht mehr ganz jugendliche Kaiserin Caesonia ihrem Mann über den Kopf. Der war nach dem Tod seiner über alles geliebten Schwester einfach ohne Ziel losgerannt, nach drei Tagen als ein anderer wieder aus der Nacht seiner Trauer aufgetaucht. Mit einer scharf akzentuierten Rückblende, eingeleitet von einem grellen Schrei, begann zum Spielzeit-Auftakt das neue Werk von Detlev Glanert an der Oper Frankfurt. Jetzt kommt die Ko-Produktion der Hessen mit der Oper Köln an den Rhein. Nach „Der Spiegel des großen Kaisers“ (gestützt auf Arnold Zweig) und „Joseph Süß“ (ausgehend von Lion Feuchtwangers Roman Jud Süß) kreist Glanerts dritte große Oper um den römischen Kaiser Caligula, der von 37 bis Anfang 41 nach Christus herrschte.

Keineswegs zufällig setzte sich Albert Camus zwischen 1938 und 1944 mit dem durchgeknallten Imperator auseinander. Sein Drama entstand in der Zeit, in der die großen Diktaturen Europas zum Höhepunkt ihrer Gewaltentfesselung gelangten. Camus ging es um Anpassungswilligkeit, opportunistische Ergebenheit und die bis zur Selbstverleugnung reichende Loyalität der Paladine – und um einen Führer, einen „Sonnenkönig“, der alle Mitmenschen wie Planeten und Trabanten auf die Umlaufbahn um seine egozentrische Person bringt. Es ging ihm, kurz gesagt, um das Funktionieren von Diktaturen und Diktatoren sowie deren Psychologie.

Der 1960 geborene Berliner Komponist Detlev Glanert schrieb eine versierte Theatermusik, die sich ihrer Effekte sicher sein darf: Da insistiert der pochende Herzschlag eines herzlosen Caligula in den Zwischenaktmusiken auf dem Primat der „Innenansicht“ von Machtverhältnissen. Der aus der Dunkelheit kommende extreme Schrei am Anfang, der mit den folgenden 16 Orchestertakten an der Stelle einer Ouverture steht (und lediglich von einem optischen Hinweis auf den Tod der Drusilla begleitet wird), kündigt die Exzesse an und kehrt am Ende wieder, wenn der Kaiser einem Attentat zum Opfer fällt.

Den Extremsituationen trägt die Tonspur Rechnung – in der Orchesterbesetzung fehlen alle mittleren Instrumente wie Bratschen und Holzbläser in mittlerer Lage. Die Caligula-Partitur bekennt sich zur Tradition deutscher expressiver Musik mit vielen Anspielungen auf Strauss und Schreker. Sogar die Mondnacht von Eichendorff und Schumann bringt sich in Erinnerung, wenn sich im innigen Dialog zwischen dem Diktator und dem jungen Dichter Scipio poetisch die „Seele sich aufspannt“ – „und heimwärts reist“. So manches erinnert an neoklassizistische Kompositionen der 1920er Jahre und es wird schwungvoll an ältere Tanzmusik-Modelle angeknüpft.

So ist Glanerts neue Arbeit eher geeignet, Schönheitssehnsucht und gleisnerische Glücksversprechungen zu illustrieren, als mit kaltem Blick die Unsäglichkeit menschlicher Überheblichkeit und staatlichen Terror „auszudrücken“. Die schwelgerischen Intensitäten kostet Markus Stenz mit dem Frankfurter Orchester nach besten Kräften aus. Michaela Schuster erhebt die gegenüber dem Unrecht stumpfe opportunistische Kaiserin Caesonia zu einer wirklich zentralen Rolle – mit einer Partie, die mitunter anmutet, als wäre sie die jüngste Schwester der Strausschen Elektra; konsequent ist, dass auch sie sich wie ein Lamm schlachten lässt. Ashley Holland gebärdet sich in der Titelpartie nicht wie der feinsinnig-zynische Kaiser der Antike, sondern eher wie der junge Rainer Werner Fassbinder.

Überhaupt fällt die Bildsphäre recht enttäuschend aus. Alexander Lintl bietet karge Innenräume in vom Bauhaus geprägter Abstraktion. Nicht einmal Zwergstaaten lassen sich aus einem solchen Ambiente heraus regieren, in dem sich Caligula als Transvestit im Venus-Kostüm hervorhebt. Christian Pades Inszenierung hält sich an die Generalregie-Anweisung, dass Caligula „immer“ und „überall“ spielen könne. Sie vermeidet jeden deutlichen Bezug auf Despotien und Mediensonnenstaatstendenzen der Gegenwart – auch dort, wo die mediale Selbstinszenierung des Diktators ins Visier genommen wird. Die Anstößigkeit Caligulas wurde auf bemerkenswerte Weise gebändigt. Lehren aus der Geschichte gibt es nicht.

2., 8., 14., 21. Dezember, weitere Termine im Januar, Infos: 0221-22128400