Nationalist, der Kreide gefressen hat

Der Parteichef der Polnischen Familienliga sagt es bestimmt und sanft: „In der Allpolnischen Jugend vor dem Krieg gab es Dinge, denen ich nicht zustimme. Ich weise etwa alles von mir, das einen anti-jüdischen Unterton hat.“ Roman Giertych spricht im polnischen Radio; er ist gerade Vizepremier der Regierung Kaczyński geworden und dazu Bildungsminister. Im Sommer hatte er überraschend die Gedenkfeiern des Judenpogroms in Jedwabne besucht, für die Opfer Blumen niedergelegt und auch sonst offenbar ganz viel Kreide gefressen.

Doch schon seit ein paar Jahren vermeidet der Sohn des rechtsextremen Maciej Giertych, jenes rechtsextremen polnischen Europaparlamentsabgeordneten, der immer wieder mal in Straßburg den spanischen Diktator Franco preist, öffentlich antisemitische Äußerungen. Giertych erscheint zu Interviewterminen im Nadelstreif, spricht fließend Englisch, ja nicht einmal Radio Maryja will er loben.

Seine Vergangenheit allerdings ist alles andere als weiß. Kurz nach der Wende, die Giertych heute wie die Kaczyński-Zwillinge als Verrat und faulen Kompromiss abstempelt, nutzte er die neue Freiheit und reaktivierte die national-patriotische, antisemitische „Allpolnische Jugend“ (Młodzież Wszechpolska, MW) der Zwischenkriegszeit wieder. Idol des 18-jährigen, patriotisch erzogenen Roman Giertych ist Roman Dmoswski, der in den Dreißigerjahren im damals polnischen Lviv den Boykott jüdischer Geschäfte organisiert hat.

Nach einem Jura- und Geschichtsstudium in Poznan (dt. Posen) politisiert Giertych zusammen mit seinem Vater am rechtsextremen polnischen Rand. 1994 wird er zum Ehrenvorsitzenden der Allpolnischen Jugend, 2001 in den Sejm, 2005 zum Parteichef gewählt.

Doch erst der Putsch Jarosław Kaczyńskis gegen seinen beliebten Parteikollegen und Premier Kazimierz Marcinkiewicz macht Roman Giertych zu einem der mächtigsten Politiker im Land. Kader der „Allpolnischen Jugend“ werden nun Minister, Staatssekretäre, Verwaltungsratsmitglieder von Staatsbetrieben und erhalten wichtige Ämter beim öffentlichen Rundfunk und Fernsehen.

Nun drohen die alten Kumpel des 35-jährigen Vizepremiers seine Regierungspartei LPR in arge Schwierigkeiten zu bringen. Erst letzte Woche sind in der polnischen Presse Fotos aufgetaucht, die heutige hohe Staatsangestellte in „Sieg Heil“-Posen zeigen, manchmal gar vor brennenden Hakenkreuzen. „Das Hissen von faschistischen Flaggen muss hart bestraft werden“, hat Giertych erst kürzlich gesagt. Und: „Der Antisemitismus hat keinen Platz in Polen.. Gemeint hat er wohl etwas anderes. PAUL FLÜCKIGER