Vom Kriminellen zum Islamisten

FRANKREICH Die völlig überfüllten Gefängnisse dienen vielfach als Stätte der Rekrutierung neuer Dschihadisten. Die Überwachung soll verbessert werden

AUS PARIS RUDOLF BALMER

Die französische Staatsführung gerät unter Druck. Wie schon vor zwei Jahren Mohammed Merah, der Attentäter von Toulouse, war der am Freitag verhaftete Mehdi Nemmouche seit Jahren registriert. Dennoch konnte ihn die Polizei nicht daran hindern, nach Jahren im Gefängnis wegen Diebstählen und eines Überfalls über Umwege nach Syrien zu reisen, wo er sich angeblich der radikalsten Gruppe „ISIS“ (Islamischer Staat im Irak und der Levante) anschloss. Das Problem wirft einmal mehr die Frage auf, warum die Gefängnisse zum wichtigsten Rekrutierungsfeld der radikalen Islamisten geworden sind und was zu tun wäre.

Demonstrativ sind am Montag in der Region Paris und in Südfrankreich vier Personen festgenommen worden, die an der Anwerbung von Dschihadisten für Syrien beteiligt sein sollen. Diese Polizeiaktion hat im Prinzip nichts mit der Ermittlung des Anschlags von Brüssel und der Festnahme des mutmaßlichen Täters in Marseille zu tun, dient aber mitunter auch zur Beruhigung der Öffentlichkeit. Wie meistens wird die Justiz gegen sie wegen „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ ermitteln. Allerdings muss die Justiz dann auch den Beweis erbringen, dass die Verdächtigen etwas mit terroristischen Aktivitäten zu tun hatten.

Im Fall von Nemmouche hat alle Prävention nichts genutzt. Staatspräsident François Hollande hat zwar am Sonntag seinen Landsleuten versichert, der einschlägig bekannte Nemmouche sei ja sofort festgenommen worden, „als er seinen Fuß auf französischen Boden setzte“. Ein Beweis für eine besonders effiziente Überwachung ist das aber nicht, denn die Festnahme in Marseille war ein Zufallserfolg, den man drei eifrigen Zollbeamten verdankt. Dennoch versicherte der Präsident fast beschwörend, er werde den Dschihad bekämpfen. Er hofft auf eine bessere europäische Zusammenarbeit.

In französischen Medien wird deutschen Behörden vorgehalten, bei der Überwachung potenziell gefährlicher Dschihadisten versagt zu haben. Der mutmaßliche Terrorist von Brüssel kam auf seiner Rückreise aus Syrien Anfang März zuerst nach Deutschland. Dort sei er zwar kontrolliert worden, die französischen Polizeistellen für den Kampf gegen Terrorismus aber seien nicht informiert worden, berichtete mit vorwurfsvollem Unterton das Fernsehen.