Flüge in die Herzen

SKISPRINGEN Wahre Liebe schenkten österreichische Wintersportfans jahrelang nur den Alpinen. Doch die konstant erfolgreichen Springer sind dabei, den gefallenen Helden der Piste den Rang abzulaufen

INNSBRUCK taz | Wer in Österreich als Sportler etwas gelten wollte, musste elegant Slalomstangen umkurven oder in der Abfahrtshocke rasant ins Tal rauschen. Von einer Schanze springen? Na ja. Österreich hatte den Skisprung-Intellektuellen Toni Innauer und um ihn herum in den 1970er Jahren ein ganzes Skisprung-Wunderteam unter der Regie des legendären Trainers Baldur Preiml, später den fröhlichen Ernst Vettori, dann den Gaudiburschen Andreas Goldberger. Aber das Herz der Landsleute eroberten stets die Alpinen. Dem Österreichischen Skiverband (ÖSV) war’s recht. Denn wie meinte der Sportdirektor Hans Pum jüngst? „Die Alpinen sind das Flaggschiff. Viele Urlauber kommen ja nicht zum Skispringen nach Österreich.“ Und flugs wurde den Alpinen ihre volkswirtschaftliche Bedeutung vor Augen geführt: Fahrt schnell Ski, dann kommen viele Touristen, um auch durch den Schnee zu brettern.

Die Skispringer haben darüber aber nur selten laut geklagt. Sie haben sich stattdessen gedacht: Wenn sie immer besser werden, wird auch die österreichische Öffentlichkeit nachhaltige Zuneigung zum Schanzensport entwickeln. Die Rechnung ist aufgegangen. Seit 2005 haben die österreichischen Springer alle zu vergebenden Mannschaftstitel bei Weltmeisterschaften und Olympischen Winterspielen gewonnen. Thomas Morgenstern wurde 2006 Einzel-Olympiasieger, Gregor Schlierenzauer ist der wohl begabteste Skiflieger der Gegenwart, vor zwei Jahren gewann Wolfgang Loitzl die Tournee und gleich noch den WM-Titel, im Vorjahr siegte Andreas Kofler bei der Vierschanzentournee. Nur der schlaue Schweizer Simon Ammann störte vor knapp einem Jahr bei den Winterspielen in Vancouver die rot-weiß-rote Skisprung-Herrlichkeit, weil er mit einem revolutionären Bindungssystem zu beiden Einzeltiteln sprang. Aber Teamgold konnte den Österreichern niemand nehmen. Zum Vergleich: Die Alpin-Herren, mit einem Status ausgestattet, den in Deutschland die Fußballnationalmannschaft hat, holten keine einzige Medaille.

Spätestens nun dürften auch die hohen Herren im Österreichischen Skiverband (ÖSV) samt Präsident Peter Schröcksnadel verstanden haben: Da ist an den Schanzen etwas gewachsen von enormer Qualität. Und auch das Publikum hat die Springer ins Herz geschlossen. Gregor Schlierenzauer etwa wird von Teenagern umschwärmt, bekommt bis zu 70 Briefe mit Zuneigungsbekundungen täglich. So wie einst in Deutschland Sven Hannawald und Martin Schmitt. Schlierenzauer präsentiert mittlerweile auch eine eigene Modekollektion und durfte eigene Fotografien ausstellen.

Für den Skisprung-Cheftrainer Alexander Pointner sind das freilich nur Nebensächlichkeiten. Für ihn drückt sich die neue Akzeptanz für das Skispringen darin aus, dass er und seine Schützlinge im Verband nicht mehr an den Katzentisch verwiesen werden. „Ich fühle mich so verstanden wie noch nie im Skiverband“, sagt er. „Es gibt jetzt abseits der Schanzen auch viele Synergien.“ Ein spartenübergreifendes Expertenteam etwa tüftelt im Materialbereich, es geht dabei um Anzüge, Ski- und Snowboardpräparierung. Diese „Vernetzung mit anderen Bereichen“ kann Pointner stolz machen, denn eine Einbahnstraße ist das ja nicht: Auch wenn der Trainer vornehm schweigt – es dürften die in Vancouver so erfolglosen Alpinen gewesen sein, die sich ein bisschen was von den strahlenden Springern abschauen wollten.

Skispringen in Österreich ist ein ausgefeiltes Produkt. Schon in der Nachwuchsförderung wird nichts dem Zufall überlassen, alles gehorcht den erprobten Konzepten und Programmen, in denen auch abseitig wirkende Bereiche wie Improvisationstheater oder Musiktherapie aufgenommen werden. Pointner sagt: „Das ist alles gewachsen, wir kaufen keine Spezialisten für teures Geld ein.“ Ein Seitenhieb auf den Deutschen Ski-Verband (DSV), wo der ehemalige österreichische Nachwuchscoach Werner Schuster als Cheftrainer wirkt. Der warb vom ÖSV im Frühjahr den Trainingswissenschaftler Harald Pernitsch ab.

Pointner konnte das verkraften, man schaut auf sich selbst. Und höchstens noch auf die anderen Sparten im Verband, wo man mittlerweile auch von den stolzen Alpinen großen Respekt erntet. KATHRIN ZEILMANN