Tanz mit Gute-Laune-Gen

NEUES BALLETT Nur selten wagen klassische Tänzer den Weg in die Selbstständigkeit. Eric Gauthier traute sich in Stuttgart: Sein kleines Ensemble Gauthier Dance ist erfolgreich

Bei einem nicht unerheblichen Teil des Publikums gibt es ein Bedürfnis, durch Tanz unterhalten zu werden

VON CLAUDIA GASS

Noch einmal die Beine im Spagat dehnen vor dem Auftritt, zusammen mit der Partnerin die entscheidenden Szenen markieren – in diesem Fall dramatisches Erdolchen zu Bizets „Carmen“ – und ein nervöses Kreuzschlagen. Schon fordert unerbittlich die wohlklingende Stimme des Choreografen: „Dancers, it’s showtime.“ William Moragas und Marianne Illig, die so tun, als befänden sie sich noch hinter den Kulissen, stehen bereits auf der Bühne, des Stuttgarter Theaterhauses nämlich. Auf dieses Kommando hin stürzen sie sich mit tänzerischer Virtuosität und darstellerischem Esprit hinein in das Duett „Showtime“ von Eric Gauthier.

Im Februar wird Gauthier den Tanzpreis „Zukunft“ erhalten, verliehen vom Berufsverband der Tanzpädagogen. „Showtime“ ist eine mit leichter Hand skizzierte Fingerübung, aber typisch für seine choreografische Handschrift, die das Repertoire seiner Compagnie Gauthier Dance prägt. Gauthiers Stücke basieren immer auf einer originellen Ausgangsidee und einem erzählerischen Ansatz, münden in überraschenden Pointen und haben Humor. Innovative Bewegungserfindung dagegen ist seine Sache nicht, eher versteht er es, zeitgenössisch variierte Ballettneoklassik sinnfällig und ästhetisch ansprechend zu arrangieren.

Bei Gauthier, 1975 in der Region von Quebec/Kanada geboren, ist immer irgendwie Showtime. Das war schon so, als er während seiner Zeit als Tänzer beim Stuttgarter Ballett – neun Jahre war er dort – das Publikum für sich gewann, beispielsweise in seiner Paraderolle, der des Mercutio in John Crankos „Romeo und Julia“. Das ist immer noch so, wenn er als Tänzer bei Gauthier Dance mitwirkt oder wenn er als Frontmann seiner Rockband auf der Bühne steht. Im Sprechtheater nennt man so jemanden etwas uncharmant, aber trefflich eine Rampensau.

Ausgesprochen zielstrebig

2007 hat der immer vor Ideen sprühende und dabei ausgesprochen zielstrebige Eric Gauthier seine Balletttänzer-Karriere aufgegeben, weil er etwas Eigenes aufbauen wollte. Er konnte Werner Schretzmeier, den Leiter des Kulturzentrums, für seinen Plan gewinnen, eine am Theaterhaus beheimatete Tanzkompanie zu gründen. Obwohl das Budget nicht üppig ist und zumindest die finanzielle Gewährleistung einer Weiterentwicklung von Gauthier Dance gerade erst auf der Kippe stand, hat sich die achtköpfige Kompanie in den drei Jahren ihres Bestehens äußerst erfolgreich etabliert. In Stuttgart sowieso, wo das tanzbegeisterte Publikum die Kompanie vom Start weg ins Herz geschlossen hat und Gauthier Dance neue Zuschauer über das Theaterhaus, aber auch ihre Auftritte in Jugendclubs gewinnen konnte. International viel beachtet waren insbesondere „Don Q.“ und das intellektuelle und sinnliche Rätselspiel um Liebe und Macht „Poppea//Poppea“: Beide Stücke hat der Hauschoreograf des Stuttgarter Balletts und designierte Zürcher Ballettchef, Christian Spuck, für Gauthier Dance kreiert.

Bestens vernetzt

Zu Gute kommt dem kleinen Ensemble aus klassisch ausgebildeten Tänzerinnen und Tänzern auch die Tatsache, dass Gauthier in der internationalen Ballettwelt bestens vernetzt ist. Choreografen wie William Forsythe, Hans van Manen oder Jiri Kylián, die den Tänzer Eric Gauthier hoch geschätzt haben, überlassen dem jetzigen Kompanieleiter gerne Kreationen fürs Repertoire. Und nicht zuletzt scheint das Gute-Laune-Gen, das Gauthier Dance in gewisser Weise verinnerlicht zu haben scheint, auf die Zuschauer ansteckend zu wirken. Aus einem Programm von Gauthier Dance geht man beschwingt weg, weil man Tanz auf hohem ästhetischen Niveau gesehen hat, weil einen der Humor, der Appell an Gefühl und Empathie, der Witz oder ein erzählerischer Aspekt angesprochen haben. Auch wenn manchem Tanzkritiker das künstlerische Profil von Gauthier Dance als Ganzes zu smartiebunt und – süßlich erscheint.

Bei einem nicht unerheblichen Teil des Publikums gibt es offensichtlich ein Bedürfnis, durch Tanz im besten Sinne unterhalten zu werden, sich eben mal nicht, wie es bei vielen zeitgenössischen Choreografen die Regel ist, auf existenzielle, gesellschaftliche und innerpsychische Abgründe einlassen zu müssen.

Eng verbunden ist seiner Kompanie als Coach, Mentor und Tänzer Egon Madsen, mit 68 Jahren noch immer ein charismatischer Darsteller, der lange vor Gauthier die tragikomischen Rollen am Stuttgarter Ballett tanzte. Er wird im Februar mit dem Deutschen Tanzpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Eric Gauthier hat für Madsen bereits zwei Stücke choreografiert, „M. M.“, eine getanzte Biografie des großen Pantomimen Marcel Marceau, als auch „Dear John,“ eine Hommage an den Gründer des Stuttgarter Balletts John Cranko, die mit „Showtime“ zum neuen Programm „Out of the Box II“ gehört. Madsen und Gauthier stehen in „Dear John“ als kongeniales tragikomisches Komödianten-Duo gemeinsam auf der Bühne. Auch wenn der Choreograf Eric Gauthier erst seine Lehrjahre absolviert – wobei ihm jetzt die Auszeichnung mit dem Tanzpreis „Zukunft“ den Rücken stärkt –, ist das nicht das schlechteste Leitbild für ihn und seine Tanzkompanie.

■ Gauthier Dance ist mit „Out of the Box II“ wieder vom 5. bis 9. Januar im Theaterhaus Stuttgart zu sehen