WALTRAUD SCHWAB GEMÜSE IST MEINE WURST
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Seit über 16 Jahren bekomme ich eine Gemüsekiste. Jeden Donnerstagmorgen trägt der Bauer sie in den dritten Stock und stellt sie vor der Tür ab. Manchmal klingelt er, wenn Geld fällig ist. Ich bezahle im Voraus und gebe ihm Treppengeld, so wie man früher dem Kohlenträger Treppengeld gab. Man kann sagen: Der Bauer und ich haben eine Beziehung. „Ah, Thomas, wie geht’s?“ / „Okay!“ / „Wächst alles?“ Darauf antwortet er je nach Witterung: „Regnen müsste es.“ „Weniger regnen müsste es.“ „Zu kalt ist es.“ „Zu warm ist es.“ „Tschüss!“

Ich habe in den 16 Jahren miterlebt, wie der Bauer grau geworden ist. Er hat miterlebt, wie meine Haut Falten bekam. (Ich färbe die Haare.) Er weiß nicht, dass ich extra eine Nachtkleidung erfunden habe: ein Rollkragenshirt, an das ich den abgeschnittenen unteren Teil eines andersfarbigen T-Shirts nähe und das so wirkt, als sei es gar kein Nachthemd, sondern ein Kleidchen. Denn Thomas kommt früh, und es soll so aussehen, als wäre ich schon aufgestanden. (Es sieht nicht so aus.)

So eine Art von Beziehung also haben wir, und jeden Winter denke ich: Ich sollte mich trennen, denn die Gespräche sind immer die gleichen, und Gemüse bekomme ich auch ständig dasselbe. Aber dann, so Mitte Mai, fängt in der Kiste der Frühling an, und alles ist wieder gut.

In der Kiste waren: je 1 Bund Petersilie, Melisse und Rucola, 600 g Rhabarber, 200 g Frühlingszwiebeln, 400 g Spargel, 1,8 kg Kartoffeln, 900 g Möhren, 500 g Zwiebeln

Den Rhabarber habe ich mit Zimt, Limettensaft und ordentlich Zucker aufgekocht und meinen Kolleginnen kredenzt. Sie haben die Schüssel mit dem Finger ausgeleckt. Wichtig: Immer mehr Zucker nehmen, als in allen Rhabarberkompottrezepten angegeben. Es muss süß sein. Und damit endet diese Winterkolumne. Danke, dass Sie sie gelesen haben.

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