Bolzen digital

Trainer und Spieler zugleich: Der Hamburger Nicolas Eleftheriadis ist einer der ersten professionellen E-Sportler in Deutschland. Am Computer verdient er sein Geld - als digitaler Fußballspieler

„Ich wollte nicht in diese Spiele- oder Internet-Freak-Schublade gesteckt werden.“

VON ANDREAS BOCK

Als Nicolas Eleftheriadis im Foyer des Berliner Multiplexkinos „CineStar“ am Potsdamer Platz ankommt, ist alles vorbereitet: Zwei Fernsehkameras des Deutschen Sportfernsehens sind auf die Spielerplätze der „Computerstars“ gerichtet, Scheinwerfer aufgebaut und ein paar Spieler machen sich an den „Gamepads“, den Steuergeräten für das Spiel am Computer, warm – stretching for the game.

Nicolas fährt jeden zweiten Samstag von Hamburg nach Berlin, manchmal für zwei, selten für drei Spiele – vier Stunden Bahnfahrt für maximal 36 Minuten Spielspaß. „Einige kommen sogar aus Süddeutschland“, sagt Nicolas. Der Hamburger Informatik-Student ist Profispieler der Electronic Sports Bundesliga. Seine Disziplin heißt FIFA 2006 – eine Fußballsimulation für den Computer.

Bei FIFA 2006 laufen 22 Spieler einem Ball hinterher, der nach gekonnten Angriffen im Tor landet, während der Schiedsrichter von gegnerischen Spielern beschimpft wird – auch wenn der computergesteuerte Schiedsrichter hier unfehlbar ist. Die E-Sportler sind Trainer und Spieler zugleich, wählen 4-4-2- oder 4-3-3-Systeme, ordnen Mauertaktik oder „Kick and rush“ an. Lediglich die Spielzeit ist eine andere als im echten Spiel: Statt 90 werden hier nur zwölf Minuten gespielt.

Zu Beginn läuft für Nicolas alles nach Plan: „Nicolas’ Zehner ist kaum vom Ball zu trennen“, tönt es aus den Lautsprecherboxen. David voll in Vaart hat Nicolas seinen Mittelfeldregisseur getauft, der seine Gegenspieler wie Statisten aussehen lässt: Dem doppelten Übersteiger folgt ein filigraner Pass auf den Flügel.

„Gekonntes Dribbling auf der Außenbahn, Pass in den Raum, jetzt muss die Flanke kommen, sie kommt. Den muss er machen. Tooooor!!! Nico nickt den Ball ins Netz! 1:0 für Nicolas Eleftheriadis!“, Thorsten Knippertz redet sich in Stimmung. Er ist normalerweise Stadionsprecher bei Borussia Mönchengladbach, kommentiert aber jeden zweiten Samstag die Spiele der ESBL für das Deutsche Sportfernsehen.

Nicolas nimmt um sich herum nichts wahr. Er regt sich kaum, starrt auf den Bildschirm. Während die Zeitlupe läuft, huscht doch noch ein Lächeln über sein Gesicht. Kurz löst sich seine linke Hand vom Gamepad und ballt sich unter dem Spieltisch zu einer Faust. Der 23-Jährige ist angespannt, es geht um viel Geld: Insgesamt werden in der ESBL 50.000 Euro ausgezahlt, der Meister erhält 7.500 Euro. Nicolas, als einer der Favoriten in die Saison gestartet, belegt vor dem 13. Spieltag aber nur den fünften Platz. Der Hamburger rechnet sich trotzdem noch Chancen auf den Titel aus, sein Minimalziel sind die die Top3.

„Eigentlich ist FIFA 2006 wie Schach, jeder Spieler versucht auf bestimmte Positionen auf dem Feld vorzurücken, von wo aus es nur noch Routine ist, den Gegner Matt zu setzen“, sagt Nicolas.

Der HSV-Fan ist seit einigen Jahren professioneller FIFA 2006-Spieler. Sein Arbeitgeber heißt mTw, kein Verein, sondern ein „Clan“, eine virtuelle Gemeinschaft von Computerspielern. Nicolas bekommt sämtliche Spesen und Reisekosten erstattet. Auch ein kleines Gehalt erhält er von dem Hamburger Clan, der sich vornehmlich durch Sponsoren finanziert: Arcor oder NEC sind die namhaftesten. Dennoch sind die Gehälter in Deutschland längst nicht vergleichbar mit dem Durchschnittslohn der koreanischen Profispieler, sagt Nico.

In Südkorea ist E-Sport längst ein Massenphänomen, gesellschaftlich anerkannt, mit komplexen Verbandsstrukturen und Spielern, die mehrere hunderttausend Dollar Jahresgehalt verdienen, inklusive gestellter Luxus-Wohnungen. „Große südkoreanische Unternehmen brüsten sich mit E-Sportlern“, sagt auch Conrad S. Conrad, PR-Leiter des Clans mTw. „Die casten Spieler und binden sie vertraglich an die Firmen. Die Kids müssen dann täglich mehr als zehn Stunden spielen. Drei bis vier Jahre lang, bis sie völlig ausgelaugt sind und ersetzt werden.“ Die heutigen Popstars in Südkorea sind die Nachfolger der Daddelhallenkönige.

In Deutschland steht der E-Sport noch in den Kinderschuhen,wächst aber stetig. Auf großen Events treffen sich schon heute oft mehr als 20.000 Teilnehmer. Gespielt werden so genannte Ego-Shooter wie „Counterstrike“, aber auch Fußballsimulationen wie „FIFA 2006“. In einem schier unüberschaubaren Geflecht aus Ligen und Verbänden, Werkteams und privaten Clans versucht der jüngst gegründete Deutsche E-Sport-Bund Ordnung zu schaffen. Man wolle Strukturen aufbauen, um den E-Sport für die Industrie attraktiv zu machen. Und selbst branchenfremde Unternehmen haben das wirtschaftliche Potenzial des E-Sports erkannt. Spieler, manche erst 18 Jahre alt, werden zu Angestellten von Firmen wie AEG oder Arcor oder spielen im Trikot von Hertha BSC Berlin. Sie sind die „coolen Werbeträger“ bei den 13- bis 19-Jährigen.

„Ich kann mich noch gut an Events erinnern, wo die Jüngeren zu den Stars des mTw-Clans aufschauten. Alle wollten da spielen“, sagt Conrad. „Heute ist das anders: Die wirklichen Asse spielen unter den Flaggen von großen Wirtschaftsunternehmen oder haben Clans, die selbst GmbHs gründen, wie beispielsweise der weltweit vielleicht beste Clan SK.“

Nicolas ist seinem Clan trotz verlockender Angebote treu geblieben. Er liebt das freundschaftliche Umfeld, die familiäre Atmosphäre bei mTw. Dass er von einem Hobbyspieler mal in solch professionelle Regionen vorstoßen würde, war eigentlich eh nicht geplant. Zufällig rutschte Nicolas in die Szene rein. Früh merkte er, dass er im Freundeskreis der beste Spieler war, was ihn eher langweilte als freute. „Ständig zu gewinnen oder gegen den Computer zu spielen, macht auf Dauer keinen Spaß“, sagt Nicolas. Er spielte fortan online, auf der Suche nach neuen Gegnern und Herausforderungen. Nicolas versuchte sein neues Hobby auch vor Freunden geheim zu halten, spielte auf kleineren Turnieren, er wollte nicht in „diese Spiele- oder Internet-Freak-Schublade gesteckt werden“.

Spätestens nach seinem ersten Fernsehauftritt gehörte sein geheimes Leben als professioneller E-Sportler aber der Vergangenheit an. Nicolas schrieb plötzlich Autogramme. Genug Glanz und Gloria, um die Freunde zu beeindrucken. Sie akzeptierten Nicos neue Leidenschaft und als er mit den ersten Pokalen und Gehaltsschecks nach Hause kam, schienen auch die Eltern beruhigt.

Doch heute kommt doch alles anders, als sich Nicolas erhoffte: Nach der frühen 1:0 Führung kassiert er postwendend zwei Gegentore. Wieder legt er das Gamepad beiseite, den Kopf zwischen die Knie. Seine Hände zittern. Nicolas sieht die vorderen Ränge, die großen Gewinnsummen dahinschwinden.

Nach zwölf Minuten ist alles vorbei. Nicolas hat 1:2 verloren, den Anschluss an die oberen Plätze nicht halten können. Doch im anschließenden Interview mit Thorsten Knippertz gibt Nicolas sich rhetorisch wie ein Weltfußballer. Auf die töpperwiensche Frage, „Woran hat’s gelegen?“, antwortet Nicolas stilecht: „Ich habe ein Tor weniger gemacht.“