Ich möchte das nicht

KRIEGSDIENST Wo keine Wehrpflicht, da auch keine Verweigerung mehr. Gewissensgründe von taz-Genossen aus fünf Jahrzehnten

Zusammenbruch: Zwischen Kriegstrümmern 1949 verkündet, sieht das Grundgesetz in Artikel 4, Absatz 3, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen vor, obwohl an Wiederbewaffnung noch nicht zu denken ist.

Wiederbewaffnung: Nach Gründung der Bundeswehr und Nato-Beitritt 1955 stellt Karlsruhe klar, dass auch zu Friedenszeiten die Ausbildung an der Waffe ein „Kriegsdienst“ ist und somit verweigert werden darf. Für die Verweigerer wird ein ziviler Ersatzdienst eingerichtet, seit 1961 bundesweit. Zahl der KDV-Anträge in diesem Jahr: 3.804.

Verfahren: In schriftlicher Begründung und mündlicher Anhörung müssen die Verweigerer ihre Gewissensgründe darlegen.

Friedensbewegung: Die sozialliberale Koalition beschließt 1977 eine Novellierung, wonach allein das Zustandekommen eines Zivildienstvertrages für die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer ausreicht. Die CSU kippt das Gesetz ein Jahr später per Verfassungsbeschwerde. Trotzdem erreicht die Zahl der Verweigerer 1983 mit 68.334 einen ersten Höhepunkt.

Sozialökonomischer Faktor: Die Kohl-Regierung schafft 1984 die mündliche Anhörung für Verweigerer ab, die noch nicht einberufen wurden. Im Gegenzug wird der Zivildienst von 15 auf 20 Monate verlängert.

Friedensdividende: Seit dem Fall der Mauer verweigern jährlich etwa 150.000 Männer (Ost und West). Die Anerkennung wird zur Formsache. Schrittweise werden Wehr- und Zivildienstzeiten gekürzt, am 1. Juli 2010 liegen beide bei sechs Monaten. Am 1. Januar 2011 wurden die letzten Rekruten eingezogen.

AUSWAHL MAXIMILIAN SCHACH
UND MARTIN REICHERT

„Wenn ich mich jetzt der Bundeswehr zur Verfügung stellen würde, so würde diese meinem Weltbild genau widersprechen, und ich würde dabei mein eigenes Ich infrage stellen“

Peter Michael Rulff, 1969

„Krieg ist Ausnahmezustand auch für Geist und Gefühle. Niemand weiß genau, wie er unter so extremen Umständen handeln wird.“

Christian Herde, 1977

„3. unerwartete Zwischenfrage. Vorsitzender: ‚Wofür leben Sie? Wie soll Ihr Leben aussehen?‘“

Aus dem Gedächtnisprotokoll der mündlichen Anhörung durch den Prüfungsausschuss für Kriegsdienstverweigerer von Harry Drewes, 1977

„Meine Mutter war Zeugin der langen Reihen von in der Kirche aufgebahrten Leichen, der zerschossenen, zerfetzten und verbrannten Toten in den Straßen und der endlosen Zerstörungen in der Stadt. Noch heute verfolgen sie diese Schreckensbilder und die Erinnerungen drängen sich ihr auf, wenn sie Sirenen oder Düsenjäger hört. Ich habe nach all diesen Erfahrungen nicht nur tiefes Verständnis für die Ängste meiner Eltern und vieler anderer vor dem Krieg, sondern ich kann nur sagen, daß ich nie die Ursache für solche Schreckenseindrücke sein möchte, daß ich niemals einem Menschen psychischen Schaden zufügen möchte“

Thomas Behrens, 1980

„Jesus Christus ist für alle Menschen gestorben. […] Kann ich einen Menschen, meinen Nächsten lieben, indem ich ihm die Pistole vor die Brust halte und sage: ‚Wenn du dich friedlich verhältst, schieße ich nicht?‘“

Klaus Schaumann, 1981

„Da aber die Panzer der UdSSR wahrscheinlich nicht vor Washington abgefangen werden sollen, ist es für mich auch klar, wo die USA die nächste größere militärische Auseinandersetzung zu führen gedenken. […] So ist heute z. B. die Vorneverteidigung durch die Bundeswehr bei unseren Politikern völlig unumstritten. Hinterfragt man diesen Begriff, dann kommt dabei heraus, daß sich hier militärische Aktionen verbergen, die auf dem Gebiet der DDR, West-Berlins, Polens und mit Hilfe der neuen Mittelstreckenraketen auch der Sowjetunion stattfinden sollen. Diese Strategie ist aber keinesfalls defensiv, sondern eindeutig offensiv. […] Das Neue an der Pershing II ist, daß mit ihr erstmals von Westeuropa aus die industriellen Zentren der Sowjetunion innerhalb von weniger als acht Minuten erreichbar sind.“

Helmut Zachau, 1981

„Da ich Christ bin, hat Gott in meinem Leben die erste Stelle eingenommen. Allein nach seinem Willen richte ich mich, allein er ist es, der mir sagen kann, was ich tun oder lassen soll. Ich kann einem Staat nur dann gehorchen, wenn das was von mir verlangt wird auch mit dem Willen Gottes übereinstimmt. […] ‚Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir. Amen‘“

Kurt Güttler, 1982

„So kam es, daß ich eigentlich von Geburt an immer der Schwache war. Weder in der Familie, im Kindergarten oder später in der Schule sowie in meinem späteren Leben hatte ich die Möglichkeit, mich mit körperlicher Kraft, also Gewalt gegen andere durchzusetzen. Von Anfang an war ich gezwungen, mich in allen Bereichen meines Lebens mit gewaltlosen, friedlichen Mitteln gegen manchmal sogar rohe Gewalt durchzusetzen.“

Jürgen Tress, 1983

„Wenn einer dich auf die eine Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.“

Erwin Saint Paul, 1983

„Ich habe schon seit Kindheit an eine große Liebe zu Tieren aller Arten. Diese Liebe zur schwachen Kreatur fand ich in Schweitzers Forderung nach der Achtung vor dem Leben widergespiegelt.“

Aus der letzten von drei Begründungsanträgen, T. Behrends, 1981–84

„Da mein Vater Berufssoldat ist, konnte ich einen Einblick in die militärische Ausbildung bekommen. Ich erinnere mich, daß ich einmal den Soldatentag des Standortes meines Vaters besucht habe und daß mich die dort ausgestellte Technik faszinierte. Doch im Laufe des Besuchs fragte ich mich, zu welchem Zweck so eine hochmoderne Technik benötigt wird. Ich mußte feststellen, daß der technische Aufwand dem Vernichten von Menschenleben gilt. So ist dem anfänglichen technischen Interesse an dem Beruf meines Vaters der Abscheu gegenüber Waffen und ihrer tödlichen Wirkung gewichen.“

Bernd Rubel, 1988

„Im Februar 1988 nahm ich an einem Truppenbesuch bei der Bundesmarine in Kiel teil. Es waren zwei Tage, die meinen geistigen Entwicklungsprozeß ein großes Stück weiterbrachten. Es war für mich ein Erlebnis besonderer Art, die Atmosphäre von Befehl und Gehorsam einmal hautnah miterleben zu können. Ich fand es erschreckend und abstoßend zugleich, wie hier der Mensch nicht mehr als Individuum behandelt wird.“

Wolf-Ingo Gobin, 1989

„Ich denke des Weiteren nicht, mich in einer derart autoritären Organisation wie der Bundeswehr ordentlich zurechtfinden und eingliedern zu können, da hierzu entsprechende Motive fehlen.“

Weitere Verweigerungen aus den Privatarchiven der taz-Genossen sind im taz-Hausblog unter hausblog.taz.de einsehbar

Niko Heeren, 1998

„Meinen ersten Toten im Rettungsdienst werde ich mein Lebtag nicht mehr vergessen, zumal ich ihn kannte, da es einer meiner Nachbarn war.“

Gabriel Bücherl, 1998

Menschen, die im Krieg sterben, sind meist jung und voller Pläne, Wünsche und Träume. Als Soldat müßte ich im Kriegsfall diese Menschen für mein Vaterland töten. Ich habe seit inzwischen drei Jahren meine Freundin, Steffi. Ich liebe sie und bin sehr glücklich, daß ich sie habe. Sie ist abgesehen von meiner Familie die wichtigste Person in meinem Leben. Ein Leben ohne sie kann ich mir nicht vorstellen. An ihr ist mir der unaustauschbare Wert eines menschlichen Lebens erst wirklich bewusst geworden. Als Soldat bin ich verpflichtet, meinen Befehlen zu gehorchen. Mein Befehl könnte auch sein, auf Menschen zu schießen. Doch auch ihr Leben ist unaustauschbar und unersetzlich. Auch sie haben Freund/innen, die sie lieben.Matthias Jungkurth, 1999

„Ich glaube, dass jedes Lebewesen das grundlegende Recht auf Leben hat, welches zu respektieren ist. Deshalb kann ich auch nicht verstehen, wie andere Menschen es mit ihrem Gewissen vereinbaren können, Tiere diese Meisterleistungen der Schöpfung, zu töten oder gar zu quälen. […] Der Soldat James Ryan“ wurde von den Kritikern sehr gelobt ob seiner Realitätsnähe. Dies und die Berichte von Bekannten, die diesen Film gesehen hatten, ließen mich die Entscheidung treffen, ihn mir nicht anzusehen, da ich Angst hatte, der Film würde mich zu sehr mitnehmen und im nachhinein noch belasten. Ich glaube, auch ohne diesen Film gesehen zu haben, ist dies ein weiteres gutes Argument, das Handwerkszeug des Krieges nicht erlernen zu wollen.“

Sebastian Droßel, 1999

„Deshalb will ich Zivildienst leisten, damit ich, wenn auch ich mal Hilfe von solchen Menschen bräuchte, sagen kann, ja, ich war auch mal Zivildienstleistender, und ich somit diese Arbeit auch richtig zu würdigen weiß.“

Patrick Dierking, 2007

„Die Amerikaner brachten nach dem Zweiten Weltkrieg den Frieden nicht durch die Befreiung mit Waffen nach Deutschland, sondern dadurch, dass sie in Verhandlungen mit den Bündnispartnern, den Alliierten, den Marshallplan durchsetzten; indem sie den Deutschen das Leben schenkten.“

David Scheuing, 2008