Blitzlichter aus der Ferne

Die „Ruhr Nachrichten“ schassen sechs Fotografen – und bauen die Zeitung langfristig um. Ein Trend: Lokaljournalismus passiert künftig weniger vor Ort, sondern irgendwo in einer Zentralredaktion

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Täglich gegen 12.30 Uhr kommen die Redakteure der Dortmunder Ruhr Nachrichten (RN) zur Telefonkonferenz mit den Lokalredaktionen zusammen. In der Regel wird dort über aktuelle Themen gesprochen. Am vergangenen Montag aber eröffnete Chefredakteur Wolfram Kiwit die Sitzung mit einer Hiobsbotschaft: Den Fotografen in Selm, Lünen, Castrop-Rauxel, Witten, Schwerte und Dortmund werde gekündigt, erklärte Kiwit – der weder Nachfragen noch Diskussionen zum Thema dulden wollte, wie ein RN-Mitarbeiter erzählt.

Die schlechte Nachricht kam für die Fotografen überraschend. Und traf – gerade jetzt vor Weihnachten – ins Mark. Trotzdem passt sie ins Bild: So ist die Entlassung der Fotojournalisten offenkundig nicht nur Teil eines groß angelegten Plans, den RN-Verleger Lambert Lensing-Wolff, ein studierter Ökonom mit wenig journalistischer Erfahrung, verfolgt. Sie weist auch in eine Richtung, in die sich Lokaljournalismus zur Zeit bewegt.

Künftig werden Lokalzeitungen statt von festen Redakteuren von immer mehr freien Journalisten erstellt, zuweilen gar von suspekten „Leserreportern“ wie bei der Bild-Zeitung. Das mag profitabel sein, hat aber neben Kündigungen auch eine Entfernung vom eigentlich Berichtsort zur Folge. Herstellen könnte man dann einen Lokalteil für, sagen wir: Castrop-Rauxel auch in Hamburg. Beliefert von Reportern und Lesern würden wenige Redakteure die Zeitung dort zusammenbasteln. Doch was ist mit journalistischer Qualität? „Die zählt oft gar nicht mehr“, sagt Horst Röper vom Dortmunder Medieninstitut Formatt.

Mit dem Abbau von Redaktionen und Geschäftsstellen geht auch die Leser-Blatt-Bindung flöten. Es gibt keinen Anlaufpunkt mehr, auch wenn Verlage diesbezüglich gerne das Internet als Kontaktmedium heranziehen. Doch gerade die alternde Bevölkerung im Revier dürfte sich schwer tun, eine E-Mail zu senden, statt eben die Redaktion zu erreichen. Außerdem: Wer hat die aktuelle Lage vor Ort im Blick? Die Reporter? Und wer wählt aus, was wichtig ist? Ein Redakteur, der nicht in der Stadt ist? Ein Schuss, der rasch nach hinten losgehen kann.

Reden möchte man über die Zukunft bei den Ruhr Nachrichten nicht. Langfristig aber, so heißt es in Medienkreisen, wollten die RN ein zentrales „Newsdesk“ im Pressehaus in der Dortmunder Innenstadt einrichten, ergo: auf besagtes Reportermodell umsatteln. Dort sitzen dann Vertreter der Lokalteile, denen aus den Orten zugearbeitet wird. Fragt sich nur, von wem?

Anfang des Jahres zerschlug Lensing-Wolff seinen alten Traditionsverlag und überführte etliche Redaktionen in neu gegründete Unternehmen. Sein Vorteil: Ein Jahr ist er an die alten Redakteursverträge gebunden – dann könnte neu verhandelt und das Gehalt gedrückt werden. Tarifgebunden sind die neuen Unternehmen nämlich nicht. Seinen Ex-Fotografen soll Lensing-Wolff indes nahe gelegt haben, eine eigene Agentur zu gründen, die die RN beliefere. Nur: Wie oft werden diese letztlich eingesetzt?

Auch bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ), der größten Regionalen im Revier, stehen Veränderungen an. Mitte Januar soll der neue Regionalteil für den Kreis Recklinghausen erscheinen – statt, wie jetzt, mehrere Lokalteile für die Region. Auch hier ist eine Zentralredaktion geplant, mit wesentlich kleineren Dependancen vor Ort. Was nicht in die Zeitung passt, soll künftig im Internet stehen. Ob aber die Konzepte aufgehen werden? Auf Kosten von Mitarbeitern und Lesern gehen sie allemal.