Leben stört beim Arbeiten

Oh Brüder, ihr mieft: Über die Frauen an der Seite von Wilhelm und Jacob Grimm erzählt ein Theaterstück in der Arena lauter Dinge, die man so genau nie wissen wollte

Es waren einmal zwei Brüder, die waren sich so nah, dass sie ihr ganzes Leben zusammen verbrachten, miteinander aßen und tranken, forschten und schrieben. Als der eine von beiden heiratete, blieb der andere bei der Familie seines Bruders wohnen. Sie teilten ihr Geld, ihre Rechte und Pflichten. Und wenn sie mittlerweile auch längst gestorben sind, so erzählt man sich doch noch heute von ihnen: Jacob und Wilhelm Grimm.

Vor zwei Jahren inszenierte der TheaterSalon mit dem Stück „Der unbekannte Bruder Grimm“ von Hartmut Mechtel eine Spurensuche nach dem dritten Bruder. Die Konfrontation zwischen dem erfolglosen Ferdinand und seinen berühmten Brüdern geriet zur Parabel über die Bedingungen von Erfolg. Jetzt ist im Glashaus der Arena das Stück „Die Brüder Grimm“ von Dagmar Papula in einer seit fünf Jahren tourenden Inszenierung von Jürgen Kloth zu Gast. Diese Koproduktion von Shakespeare und Partner und dem Theaterhof Priessenthal verzichtet leider darauf, vermeintliche Gewissheiten in Zweifel zu ziehen und Platz für neue Ideen zu schaffen – stattdessen werden Antworten auf Fragen gegeben, die man eigentlich nie hatte stellen wollen.

Wie hat man sich das vorzustellen, ein Leben für die Wissenschaft? Wie die politischen Verwicklungen der vermeintlich weltfremden Grimms? Wie das Leben einer Frau, die einen Mann heiratet und für zwei sorgen muss? Zwischen den vier Personen des Stücks – die mit allen befreundete Bettine von Arnim kommt noch hinzu – bewegt sich die Handlung brav chronologisch und schrammt dabei oft nur knapp am Klischee vorbei.

Der ältere der beiden Brüder bemerkt beständig, dass das Leben beim Arbeiten störe. Der weltzugewandtere Jüngere, penetrant mit „Kleiner“ angeredet, darf dann doch so etwas wie ein Familienglück mit seinem aufopferungsvollen Dortchen finden. Die weniger aufopferungsvolle Bettine dagegen, die auch ihren geistigen Interessen nachgeht, ist zu Hause mit einem depressiven Mann gestraft.

Das Stück von Dagmar Papula wird seinem Anspruch nicht gerecht, am Beispiel des Vormärz exemplarisch Probleme durchzuspielen, an deren Lösung auch heute noch gearbeitet wird. Klar, es lohnt sich, für eine Gesellschaft zu kämpfen, in der auch Frauen intellektuell und politisch aktiv sein können; natürlich, ein Leben für die Wissenschaft fordert seinen Preis. Aber all das weiß man – und die biedere und leicht hausbackene Inszenierung macht die alten Erkenntnisse nicht produktiv für die Gegenwart.

Auf seltsame Art und Weise überlagern sich die Zeiten: Die eigentliche Brisanz der Vormärz-Zeit und ihrer romantisch-revolutionären Projekte kommt mit dem leicht gestrig wirkenden Impetus der Bürgerbewegung aus den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts daher. Selbst den eigentlich zeitlosen Märchen, die zwischen die Handlung geschaltet sind, gelingt es nicht, diese Lücke zwischen den Epochen zu schließen. „Auch dein Leben ist bald zu Ende erzählt“, sagt am Schluss das Schicksal zu Jacob Grimm. Na endlich, denkt man.

ANNE KRAUME

Im Glashaus der Arena, 15.–18. 12. + 28.–30. 12., weitere Termine im Januar