Belgien in Empörung vereint

Gefakte Nachrichten lösen Debatte aus. Am Mittwoch hatte ein belgischer TV-Sender über die angebliche Teilung Belgiens berichtet. Nicht über die Unabhängigkeit Flanderns wird nun gestritten, sondern darüber, wie weit Journalisten gehen dürfen

AUS BRÜSSEL CLARA ROSENBACH

Mit solch heftigen Reaktionen hatte der Direktor des belgischen öffentlich-rechtlichen Senders RTBF, Jean-Paul Philippot, wohl nicht gerechnet, als er die getürkte Nachrichtensendung über die angebliche Teilung Belgiens vor Monaten in Auftrag gab. Jetzt kostet ihn das gewagte Experiment vermutlich seinen Posten. Bis Montag soll er Zeit haben, sich schriftlich bei den zuständigen Ministern zu erklären. Spätestens danach soll eine endgültige Entscheidung über seine berufliche Zukunft fallen.

Am Mittwochabend hatte RTBF seine Zuschauer in Panik versetzt: Zur besten Sendezeit unterbrach der öffentlich-rechtliche Sender sein normales Programm für eine angebliche Spezialausgabe der Nachrichten. Mit Dramatik in der Stimme berichtete ein Journalist: „Das flämische Parlament hat die Unabhängigkeit Flanderns beschlossen. Das Land ist geteilt.“ Darauf folgten Live-Reportagen vom Königspalast, wo hinter dem bestürzten Journalisten Flamen ihre Fahnen schwenkten. Der König, der bisher den flämischen Norden und den französischsprachigen Süden zusammengehalten hat, habe sein Amt niedergelegt, berichtete der Reporter. Noch immer war auf dem Bildschirm kein Hinweis zu sehen, dass die Sendung reine Erfindung war. Erst nach 30 Minuten wurde der Satz „Es handelt sich um Fiktion“ eingeblendet.

Ganz Belgien debattiert nun in Internet-Foren, Leserbriefen sowie Radio- und Fernsehsendungen die gefakte Sendung. „Wir wollten eine Diskussion über die Zukunft unseres Landes anstoßen, wollten zeigen, welche Konsequenzen eine solche Teilung auf das Leben der Bürger haben könnte“, sagte RTBF-Chef Jean-Paul Philippot. Tatsächlich ist die mögliche Unabhängigkeit Flanderns keine Utopie. Immer wieder fordern Politiker, Unternehmer und Bürgerbewegungen eine Teilung des föderalen Staates oder zumindest mehr Kompetenzen für die Regionen.

Die rechtsextreme Partei „Vlaams Belang“ fängt ihre Wählerstimmen vor allem mit der Forderung nach einer Spaltung Belgiens. Es wäre also durchaus an der Zeit, eine öffentliche Debatte über die Zukunft des Königreichs anzuzetteln. Denn bisher bewegt sie sich fast ausschließlich im akademischen und politischen Milieu.

Drei Tage nach der Ausstrahlung diskutieren die Belgier aber weniger über ihr Land als über die journalistische Ethik im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Flämische und frankophone Politiker bezeichneten die Sendung als „inakzeptabel“. Der Sender habe das Vertrauen der Zuschauer missbraucht, erklärte Elio Di Rupo, Vorsitzender der frankophonen Sozialisten. Und auch der belgische Journalistenverband hat Bedenken. Das Vorgaukeln falscher Tatsachen sei „schädlich“ für die Glaubwürdigkeit der Journalisten. Die Tageszeitung La Libre scherzte in ihrer gestrigen Ausgabe auf ihre Weise. Auf der erste Seite zeigte sie ein Bild des RTBF-Chefs mit der Überschrift „Gefeuert“. Darunter – viel kleiner – der Satz: „Das ist vielleicht keine Fiktion.“