Die dunklen Winkel der anderen

Der neue Direktor des Leverkusener Museums Schloß Morsbroich greift mit seiner ersten Ausstellung „Personal Affairs“ ein immer wieder heikles Thema auf: die Intimität. Der Blick auf die Geheimnisse anderer Menschen ist spannend, kann aber durchaus ein gewisses Unbehagen verursachen

VON KATJA BEHRENS

Der Kunsthistoriker Markus Heinzelmann hat im Mai diesen Jahres die Nachfolge Gerhardt Finckhs als Leiter des Museums Schloß Morsbroich in Leverkusen angetreten und gleich so etwas wie eine eigene Handschrift formuliert: etwas medienlastig, mit viel Installation und ziemlich jung zeigt sich schon seine erste Ausstellung. Sechseinhalb Jahre arbeitete Heinzelmann beim Siemens Arts Program in München, kuratierte und kooperierte. Nun möchte er in Leverkusen neben der Kunst auch das historische Gebäude zum Sprechen bringen – so etwa wenn er 2007 die belgische Künstlerin Veronica Janssens einlädt, hier eine ihrer raumfüllenden Nebelarbeiten zu realisieren.

Der Versuch, ein so kleinteilig-enges und persönliches Thema wie Intimität in einer Gruppenausstellung zu fassen, ist in den Räumen des barocken Schlösschens zu einem nachdenklichen Parcour geworden, in dem Sexualität nur ein Thema unter anderen ist. In der Ausstellung „Personal Affairs“ erlauben Auswahl und Präsentation uns sowohl einen kühl-distanzierten als auch einen emotional-direkten Blick hinter das Offenbare und eigentlich Unsagbare, einen Blick unter die Oberflächen des sichtbaren Alltags, in die dunklen Winkel der privaten oder politischen Ereignisse und ihrer Symbole.

Geruch von Einsamkeit

So haben etwa die Erinnerungsspuren in Costa Veces Installationen „The Weekend“ (2006) und „My Family“ (2001) eine unmittelbare und bedrückende Form gefunden. Der Künstler setzt sich hier mit dem bizarren und gleichwohl banalen Lebensumfeld seiner Mutter auseinander, das ihm, der viele Jahre seiner Kindheit in einem Kinderheim verbrachte, unvertraut-vertraut vorkommen musste. Er hat die vollgestopfte Wohnung für die Ausstellung 1:1 rekonstruiert, hat die Kassettenrekorder, Kleider, Zeitschriften und Bilder, die zu Türmchen geschichteten Erinnerungen mitgebracht und sorgfältig wieder aufgebaut. Der leise Geruch von Einsamkeit hängt noch in den Mänteln, ebenso wie die verzweifelte Hilflosigkeit des Kindes, das sich nun endlich rächen kann, indem es die Dinge und mit ihnen die verborgenen Schwächen der Mutter öffentlich in Szene setzt, sie ans Licht zerrt.

Oder ist es der liebevoll-nachsichtige Sohn, der zärtlich den Nippes seiner alten Mutter neu sortiert? In der exakten Wiederholung der traurigen Obsession überträgt sich die ambivalente Haltung des Künstlers auf den Ausstellungsbesucher: Überdeutlich wird das Gefühl etwas zu sehen, das eigentlich nicht für unsere Augen bestimmt ist.

Dieses Gefühl vermitteln nicht alle Kunstwerke gleichermaßen. Denn viele der als intim deklarierten Objekte und Installationen ermöglichen zumindest die ästhetische Abstraktion und mit ihr den Abstand, der nötig ist, sie als mögliche Weisen des Umgehens mit der eigenen Biographie zu denken. Der Künstler hat sich distanzschaffend dazwischen geschaltet.

Spuren von Liebesnächten

Beispiele hierfür sind etwa die Vorhänge, die Tobias Rehberger aus den Kleiderstoffen vormals berühmter italienischer Stars genäht hat; ebenso die in einer kleinen Schatztruhe gesammelten Wäschestücke Tracy Emins, die an verschiedene Liebesnächte erinnern, deren Spuren sie noch tragen („All the Loving (Underwear Box)“, 1997).

Dass dem Besucher des öfteren ein bisschen unbehaglich wird, ist wohl Absicht. Artur Zmijewski hat im Jahre 2004 einen polnischen Überlebenden der Konzentrationslager dazu bewegen können, seine allmählich verblasste tätowierte Häftlingsnummer 80064 erneuern und sich dabei filmen zu lassen. Die ganze Fragwürdigkeit seines Tuns zeigt sich vor allem dann, wenn der alte Mann zögerlich wird und nicht mehr weiß, warum er eigentlich dort sitzt. Das Unbehagen stellt sich fast reflexhaft ein, selbst mit der Gewissheit, dass Zmijewski hier im Revier des spanischen Künstlers Santiago Sierra wildert und es darauf anlegt, eben diesen Holocaust-Reflex bei uns auszulösen.

Ganz anders bei der in Los Angeles lebenden Künstlerin Andrea Bowers (geb. 1965). Sie belässt ihre Arbeit „Letters to an Army of Three“ (2005) in dem politischen Rahmen, in den sie gehört und findet dennoch eine formalästhetisch überzeugende und zugleich einfühlsame Form der Vergegenwärtigung der einzelnen Schicksale, die in den Briefen dokumentiert sind.

So ist die mit eindrucksvollen Arbeiten namhafter Künstler bestückte Gruppenausstellung in Leverkusen mehr als die Aneinanderreihung individueller Erinnerungsspuren. Wir sind dabei, wenn ein Geheimnis gelüftet wird – und zum Glück ist es immer ein klein wenig verschieden von unseren eigenen.

Schloß Morsbroich LeverkusenBis 18.2.2007Infos: 0214 / 8555615