Jargon der Konfrontation

Bush gegen Bin Laden war gestern. 2006 machten die einfachen Leute beim Kampf der Kulturen vehement mit. Die einzige Lösung: Alle Religionen gleich restriktiv behandeln

Lahore, Neukölln, Gaza – egal, da wird kein großer Unterschied mehr gemacht

Die erbauliche Nachricht kam, da war das Jahr schon weit fortgeschritten. Mitte November trafen sich in Istanbul hochrangige Herren (und ein paar Damen) unter der Ägide von UN-General Kofi Annan: ehemalige Premierminister, emeritierte Präsidenten, amtierende Außenminister, Religionshistoriker, Berater von Emiren und Königen. Sie alle kamen da zusammen, um die „Alliance of Civilisations“ zu begründen. Einig waren sie sich in einem: Den „Kampf der Kulturen“ gebe es gar nicht, sondern nur politische Konflikte, die von Extremisten ausgenützt würden.

Wer hätte das gedacht: Der Kampf der Kulturen ist mangels Teilnehmern abgesagt worden.

Aber ist die Sache wirklich so einfach? Eine These, die eher plausibel scheint, könnte so lauten: Wenn man den Kampf der Kulturen nur lange genug beschwört, dann kriegt man ihn am Ende auch. Der Taktschlag der Verstörungen hat sich 2006 jedenfalls rasant beschleunigt: Erst gewann die radikalislamische Hamas die palästinensischen Wahlen, dann hielt der Streit um die Mohammed-Karikaturen der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten die Welt in Atem; gleich darauf folgte die Erregung über den türkischen Actionstreifen „Tal der Wölfe“.

Kurz danach die nächste Schreckensnachricht: Junge Muslime hatten in der Pariser Banlieue einen jungen Juden drei Wochen lang gefangen gehalten, bestialisch gefoltert und ließen ihn dann sterben. Das Sommerloch füllte Israels Libanonfeldzug gegen die Hisbollah, der sich schnell einfügte in das Bild vom Kampf zwischen westlichen Werten und Islamofaschismus. Im September schließlich erklärte Papst Benedikt XVI., dass der Katholizismus die einzige vernünftige Religion und der Islam notorisch gewalttätig sei, was, obwohl notdürftig in Zitate gekleidet, die Muslime verständlicherweise nicht so gerne hörten. Den Abschluss bildet nun die „Idomeneo“-Farce. Und das waren nur die Höhepunkte. Kurzum: Es war ordentlich etwas los zwischen Morgen- und Abendland.

Es hat sich fest eingenistet: „wir“ gegen „sie“. „Wir“, „der Westen“, gegen die Feinde von Freiheit und Aufklärung. Und aus der Gegenrichtung: „wir Muslime“ gegen den Westen, der die muslimische Welt bedroht und uns verachtet. „Kampf der Kulturen“ mit George W. Bush und Ussama Bin Laden in den Hauptrollen – das war gestern. Längst erleben wir mit voller Wucht einen „Zusammenprall von emotionalisierten Öffentlichkeiten auf einer globalen Bühne“, wie Gustav Seibt in der Süddeutschen Zeitung schrieb.

Das Zerrbild von „dem Westen“ gegen „den Islam“ bildet mittlerweile einen derart festen Rahmen, dass sich jedes Vorkommnis nahezu von selbst einpasst. Wenn deklassierte türkische Kids am Schulhof für Rambazamba sorgen, dann ist nicht die soziale Lage oder ihre Zukunftslosigkeit daran schuld, sondern der Islam: „Sie“ passen einfach nicht zu „uns“.

Lahore, Neukölln, Gaza – egal, da wird kein großer Unterschied mehr gemacht. Und umgekehrt: Wenn ein gewalttätiger Junkie in Bremen seinen Sohn erschlägt und in den Eiskasten steckt, dann ist das in Teheran Stadtgespräch – und man ist sich einig, dass man Gott sei Dank mit dieser dekadenten westlichen Kultur nichts zu tun hat. Wenn zwölf dänische Zeichner Karikaturen kritzeln, zeichnet gewissermaßen der gesamte Westen mit.

Auch wenn die realen Streitfragen mehr mit Macht, Gerechtigkeit und Ökonomie zu tun haben als mit Kultur, so werden sie doch in die Sprache von Kultur, Religion und Identität übersetzt. Für viel zu viele Muslime geht alles, was schief läuft in der Welt – besonders in der muslimischen Welt –, auf das Konto einer westlichen Verschwörung, die den Islam unterdrückt, seine religiösen Gefühle vorsätzlich verletzt, die Traditionen der Muslime mit kommerziellem Teufelszeug vernichtet und die Rohstoffe aus ihren Ländern plündert.

Die relativ neue Spezies der westlichen Liberalmilitanten beschwört im Gegenzug einen täglichen Kampf gegen den islamischen Totalitarismus. Wo drei Männer mit Vollbart beieinander stehen, wittern sie eine Bedrohung von Freiheit, Abendland und Frauenemanzipation. Da kann einer noch so ein grober Macho sein, wenn es um muslimische Frauen geht, wird er in Sekundenschnelle zum Feministen.

Gerade wies die jährliche Studie aus dem Hause Heitmeyer nach, dass die Islamophobie erschreckend ansteigt und, im Unterschied zur „normalen“ Ausländerfeindlichkeit, mit höherer Bildung nicht abnimmt. Ein ganzes Autorensegment beliefert dementsprechend die literarisierten Schichten schon mit Kampfprosa. Handliche Hasspredigten wie die jüngste von Henryk M. Broder halten sich erschütternd lange auf erschütternd avancierten Plätzen der Bestsellerlisten.

Übertrieben? Bestenfalls eine Spur. Der Jargon der Konfrontation zieht immer weitere Kreise und schlägt längst auf beiden Seiten auch die Moderaten in ihren Bann. Und auf beiden Seiten geht es auch nicht ohne eine gehörige Prise Angstlust. Mit selbst viktimisierender Hingabe sehen sich oft auch durchaus arrivierte und respektierte Muslime als „Opfer“ westlicher Dominanz, wohingegen mancher Verteidiger „westlicher Werte“ den Kitzel kaum verbergen kann, den ihm die Panik vor den Muslimen bereitet.

Den deutschen Autor Wolfgang Sofsky schüttelt es förmlich angesichts der islamischen „Hetzmassen“, und der Dramatiker Botho Strauß fragt, was denn werde, „wenn der „zur Mehrheit tendierende Anteil der muslimischen Bevölkerung“ demnächst „unsere Toleranz“ nicht mehr brauche – sondern wir die seine. Anmerkung: 3,9 Prozent der deutschen Bevölkerung sind Muslime.

Selbst Machos werden in Sekundenschnelle zu Feministen, wenn es um Musliminnen geht

Die Prognose sei erlaubt: Mit den regelmäßigen Hinweisen, dass kulturell Andere durchaus friedlich zusammenleben können, wird dieser ganze Irrsinn sich nicht aus der Welt bringen lassen. Eher müssen die identitären Konzepte selbst infrage gestellt werden. Zu hoffen ist darauf, dass das Pendel irgendwann zurückschlägt. Schließlich kann auch der letzte Ignorant nicht mehr übersehen, wie brandgefährlich die Kulturalisierung und Religiösisierung der Diskurse ist.

Um im Bild zu bleiben: Eines ist so sicher wie das Amen im Gebet – 2007 wird über die radikale Verbannung des Religiösen aus dem öffentlichen Raum diskutiert werden. Bei den Briten haben sie dieses Jahr drei Viertel der betrieblichen Weihnachtsfeiern abgesagt, weil die Privilegierung einer Kultur nicht mit dem Postulat der konfessionellen Neutralität der säkularen Gesellschaft – und das ist mehr als der säkulare Staat – versöhnt werden kann.

Gewiss hat es etwas Putziges, mit dem Rupfen der Weihnachtsmänner zu beginnen, aber der Geist hinter diesem Reflex ist richtig. Erst dann, wenn die Ansprüche aller Religionen auf öffentliche Repräsentanz glaubwürdig gleich restriktiv behandelt werden, lässt sich das Wasser von den Mühlen der Hassprediger wieder ableiten.

ROBERT MISIK