Konsumentenbetrug muss teurer werden

INTERVIEW Deutschlands oberster Verbraucherschützer Gerd Billen fordert die Möglichkeit von Sammelklagen. Die Bundesregierung versucht jedoch, eine Regelung auf EU-Ebene auszubremsen

■ 55, ist seit 2007 Vorsitzender des Verbraucherzentrale Bundesverbandes. Zuvor leitete er den Naturschutzbund Nabu.

INTERVIEW ANNA WIEDER

taz: Herr Billen, Sie fordern, in Deutschland Sammelklagen einzuführen. In den USA führen die oft zu enormen Entschädigungssummen, die von Unternehmen zu leisten sind. Müssen Betriebe nun um ihre Existenz fürchten?

Gerd Billen: Wir wollen nicht, dass Unternehmen in Grund und Boden geklagt werden. Wer sich redlich und fair verhält, hat sowieso nichts zu befürchten. Die Warnung der deutschen Unternehmen und ihrer Verbände, mit dieser Sammelklage würden amerikanische Verhältnisse eingeführt, ist grundlos. Uns geht es darum, dass betrogene Verbraucher ihr Geld zurückbekommen. Wir schlagen daher eine sogenannte Musterfeststellungsklage vor. Wir als Verbraucherschützer wollen an einem Gericht tätig werden können. Dort soll für alle Fälle gebündelt festgestellt werden, ob ein Schadenersatzanspruch besteht. Im Bereich des Anlegerschutzes gibt es das schon.

Wie wollen Sie Verbraucher vor Anwälten schützen, die aus Habgier Sammelklagen initiieren?

So eine Klageindustrie lässt sich verhindern, indem man Anforderungen an diejenigen stellt, die Verfahren durchführen können. Das ist im Bereich des Wettbewerbsrechts bereits der Fall, in dem nur Verbraucherorganisationen oder Institutionen der Wirtschaft selbst handeln können. Da kann nicht jeder wild durch die Gegend klagen. Sammelklagen sollten nur für die offen sein, die die Interessen der Verbraucher uneigennützig vertreten.

Bei welchen Fällen in der Vergangenheit hätten Sammelklagen etwas gebracht?

Sammelklagen hätten denjenigen geholfen, die Lebensversicherungen abgeschlossen haben und frühzeitig ausgestiegen sind. Da ging es um Milliardenbeträge. Auch im Bereich des Strom- und Gasmarktes haben Anbieter Milliarden an Unrechtsgewinnen erzielt, die eigentlich in die Taschen der Verbraucher gehören.

Auf EU-Ebene soll voraussichtlich Ende des Monats ein Konsultationsprozess starten. Was versprechen Sie sich davon?

Ich rechne damit, dass die EU bis Ende des Jahres einen Regulierungsvorschlag macht. Beim anstehenden Konsultationsprozess können alle Beteiligten – also auch die Verbraucherverbände – ihre Meinung sagen. Die EU-Kommission ist sehr offen für das Thema Sammelklagen, weil sie festgestellt hat, dass Konzerne transnational agieren und die Regulierungslücken in den unterschiedlichen Ländern genau kennen. Es stehen auch nicht alle Regierungen Sammelklagen so ablehnend gegenüber wie die deutsche. Andere Länder haben bereits gute Erfahrungen damit gemacht. So konnten etwa in Portugal Kunden Geld von Telekommunikationsunternehmen wegen erhöhter Preise zurückklagen. In Österreich laufen zurzeit Sammelklagen gegen Finanzdienstleister. Ich bin daher guter Dinge.