ZIMMER MIETEN IN RIO
: Die Schönheit der Gewehre

JOHANNES KOPP

Meine Vermieterin hatte mir die frohe Botschaft schon per Mail verkündet. Die Armee und die Polizei haben sich über die ganze Stadt verteilt. „Total und absolut! Sicherheit!“, schrieb sie. Und nun ist sie glücklich, mir bei einem kleinen Spaziergang an der Copacabana zu zeigen, dass sie nicht zu viel versprochen hat.

Im Trikot der Seleção mit der Nr. 10 hat sie mich in Rio de Janeiro empfangen. Um den Hals trägt die etwa 50-Jährige eine grün-gelb gefärbte Holzkette. Ihr rechtes Knie ist mit einer weißen Bandage verbunden. „Eine Fußballverletzung?“, frage ich, um unser erstes Kennenlernen etwas aufzulockern. „Ja“, antwortet sie knapp und trocken. Ich habe verstanden, das war eine völlig überflüssige Frage.

Ansonsten ist sie aber sehr beredt und sprüht vor guter Laune. Ihre Knieschmerzen zwingt sie nieder und humpelt mit mir die Straßen entlang. Während ich immer wieder nach dem Meer Ausschau halte, macht sie mich auf jeden Polizisten einzeln aufmerksam, als wären sie die eigentliche Attraktion der Copacabana. Als wir an einer Straße vorbeikommen, die extrem steil in eine benachbarte Favela führt, leuchten ihre Augen. Etwa zehn Uniformierte mit schweren Maschinengewehren haben sich hier positioniert.

Meine Vermieterin, die mit Nachnamen übrigens Müller heißt, wähnt sich offensichtlich im Paradies. Mittlerweile habe ich begriffen, dass so ein richtig gut organisierter Polizeistaat sie dauerhaft glücklich machen würde. Die „Dilma, vai tomar no cu!“-Rufe („Dilma, fuck you“) des gut betuchten rechtskonservativen Lagers beim Eröffnungsspiel in São Paulo haben ihr Herz schon höher schlagen lassen, erzählt sie mir. Sie wäre so gern dabei gewesen und hätte mitgebrüllt. Es tut ihr nämlich sehr leid um das viele schöne Geld, das die brasilianische Staatspräsidentin in diese Sozialprogramme steckt. Die Leute sollten doch einfach arbeiten. Mir tut es plötzlich sehr leid um das Geld, das sie noch von mir bekommt.

Die Investitionen in den Sicherheitsapparat können nach dem Geschmack von Senhora Müller gar nicht zu üppig ausfallen. Für sie verbinden sich hier Ordnung und Fortschritt auf kongeniale Weise. Dieses WM-Brasilien ist das Land ihrer Träume, von diesen alltäglichen Misslichkeiten mal abgesehen.

Gefühlte fünf Mal hat sie sich im Namen ihres ganzen Landes dafür entschuldigt, dass mein Flug von São Paulo nach Rio de Janiero gecancelt wurde und ich deshalb den halben Tag am Flughafen verbringen musste. „Ich liebe mein Land, aber nicht die Art, wie es funktioniert“, beteuert die stramme Patriotin. Ich schäme mich nachträglich etwas, dass ich mir wegen des ausgefallenen Fliegers die Laune so habe verhageln lassen.

Vielleicht werde ich dank Senhora Müller die organisatorischen Widrigkeiten hier noch zu schätzen lernen. Aber das sage ich ihr lieber noch nicht. Eine bezahlbare neue Unterkunft werde ich während der WM gewiss nicht mehr finden. Sicher ist sicher.