Das Persönliche ist politisch

Das Selbsthilfe-Festival lädt am 21. Juni aufs Tempelhofer Feld ein

■ Die langjährige Mitarbeiterin von StadtRand gGmbH organisiert im Team mit drei Kolleginnen das Selbsthilfe-Festival.

INTERVIEW ANNE DITTMANN

taz: Frau Sowade, wird das Tempelhofer Feld am Wochenende voll sein mit verrückten Menschen?

Birgit Sowade: (lacht) Mit Verrückten hat das Selbsthilfe-Festival eigentlich nichts zu tun. Im Gegenteil: Menschen in Selbsthilfegruppen leben sogar sehr bewusst. Sie kümmern sich in Eigenregie um ihr Leben, sind selbstbewusst und initiativ.

Viele stellen sich wahrscheinlich vor, am Samstag auf einen riesigen Gesprächskreis zu treffen.

Genau das ist der Grund, warum wir – der Dachverband der Berliner Selbsthilfekontaktstellen (Selko e.V.), die Landesstelle Berlin für Suchtfragen e.V. und die Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V. – das Festival ursprünglich initiiert hatten: Die meisten Leute haben eine falsche oder nur sehr oberflächliche Vorstellung von dem, was Selbsthilfe bedeutet. Damit wollen wir aufräumen. Bei der Selbsthilfe organisieren sich Menschen in Gruppen und engagieren sich dafür, Dinge zu verändern, die im Moment noch falsch laufen. Im Gegensatz zur professionellen Hilfe, bei der man größtenteils an die Hand genommen wird, begegnet man sich bei der Selbsthilfe innerhalb der Gruppe auf Augenhöhe. Es geht um den Austausch und darum, Unterstützung zu geben und zu bekommen. In Hinblick auf das Selbstbewusstsein ist die Selbsthilfe daher ein guter Faktor für die eigene Entwicklung. Wichtig ist, dass man motiviert ist, selbst etwas zu bewegen und zu gestalten.

Also kein riesiger Gesprächskreis …

Hoffentlich viele kleine.

Sie erklären den Begriff „Selbsthilfe“ ziemlich abstrakt. Könnte man sagen, dass die Initiatoren des Volksbegehrens „100% Tempelhofer Feld“ auch so etwas wie eine Selbsthilfegruppe sind?

Ja, absolut. Natürlich gibt es Selbsthilfegruppen für Stotterer, Suchtbetroffene, chronisch Kranke und viele andere, aber die Grundlage der Selbsthilfe ist das Bewusstsein dafür, dass etwas in unserem Leben oder unserer Umgebung passiert, das schlecht für uns ist. Das kann eine Krankheit sein, kann aber auch ganz andere Problemfelder wie Politik oder Gesellschaftliches betreffen. Die Selbsthilfe ist ja durch die politische Strömung der 68er sehr gewachsen. Die Menschen hatten damals große Lust, sich von Autoritäten unabhängig zu machen. Man hat sich stark gemacht, man wollte selber denken, selber Alternativen finden. So war es auch bei der Initiative „100% Tempelhofer Feld“. Und genau wie diese Initiatoren sind Menschen, die sich in Selbsthilfegruppen organisieren, sehr selbstmotiviert. Sie können viel bewegen.

Manche wollen etwas ändern, schaffen es aber nicht.

Das ist richtig. Grundsätzlich könnten sich alle Menschen mobilisieren und zusammen mehr bewegen. Aber Selbsthilfe kostet Zeit und viel Kraft. Es ist die Entscheidung, dem Leben auf eine bestimmte Art und Weise zu begegnen. Und dafür wird man dann auch belohnt.

Womit?

Einerseits mit dem, was man selbst geschaffen hat, und andererseits ist die Selbsthilfe eine hervorragende präventive Maßnahme: Das Engagement fördert die emotionale Stärke und Gesundheit. Das wissen auch die Krankenkassen. Der Zusammenschluss der gesetzlichen Krankenkassen und insbesondere die AOK Nordost setzen sich als Sponsoren für das Festival ein. Sie profitieren von einer gesünderen Gesellschaft.

Welche Aktionen sollte man am Samstag nicht verpassen?

■ Zahlreiche Aktionen laden zum Mitmachen ein, denn „keine Erfahrung toppt die Selbsterfahrung“. Verschiedenste Gruppen stellen sich vor, der Autor Fadi Saad und der Schauspieler Harald Polzin unterstützen das Festival.

■ Samstag, 21. Juni Beginn um 14 Uhr, auf dem Tempelhofer Feld, zwischen U-Paradestraße und S-Tempelhof. Genauer Lageplan, beteiligte Selbsthilfegruppen und Programm im Netz unter: selbsthilfe-festival-berlin.de

Wir haben viele Angebote für ganz unterschiedliche Interessen. Es wird beispielsweise ein Improvisationstheater geben. Das Publikum wirft Begriffe in den Raum, auf welche die Darsteller ganz spontan reagieren müssen – natürlich im Sinne eines gewissen Unterhaltungsfaktors. Das Besondere daran: Die Darsteller haben eine soziale Phobie. Sie sind also sehr schüchtern und werden am Samstag versuchen, über sich hinauszuwachsen. Außerdem wird es Lesungen geben, Ausstellungen, eine Modenschau, Lachyoga und einen Drum-Circle, bei dem es darum geht, gemeinsam Musik zu erschaffen. Jeder kann sich integrieren. Keiner braucht Trommelerfahrung. Die Teilnehmer werden angeleitet und am Ende entsteht im Zusammenspiel sehr coole Musik. Es wird eine tolle Atmosphäre auf dem Tempelhofer Feld.

Ist auch für Kinder etwas dabei?

Definitiv. Es gibt spezielle Angebote wie Kinderschminken, einen Bewegungsparcours oder auch ein Puppentheater. Die Kleinen werden gut beschäftigt sein.

Dann ist für alles gesorgt. Nur das Wetter muss noch mitspielen.

Wir hoffen natürlich auf ein fabelhaftes Wetter. Aber für den Notfall könnten Sie schon zu Hause mit der Selbsthilfe beginnen: Packen Sie einen Regenschirm ein.