Alltag zwischen Angst und Hass

Minka Nijhuis und Susanne Fischer haben im Irak als Journalistinnen gearbeitet – und beeindruckende Berichte darüber geschrieben

VON KATAJUN AMIRPUR

3.709 Zivilisten wurden allein im Oktober im Irak getötet. Damit war dies der blutigste Monat seit Beginn der US-Invasion. Inzwischen nennen auch amerikanische Medien das Geschehen im Irak offiziell Bürgerkrieg. Vermutlich, weil auch sie die Augen nicht mehr davor verschließen können, dass die meisten dieser Menschen bei Kämpfen zwischen den rivalisierenden Religionsgruppen umgekommen sind. Und neuerdings versteigen sich amerikanische Kolumnisten sogar zu der interessanten These, dass man Saddam Hussein zurückholen und wiedereinsetzen solle: Dann wenigstens könne wieder Ruhe und Ordnung in dem Land hergestellt werden. Totalitarismus sei besser als Chaos, schreibt Jonathan Chait in der Los Angeles Times.

So weit ist es gekommen mit der Demokratisierungsinitiative von George W. Bush. Trotz der erschreckenden, immer neuen Zahlen über die Opfer, mit denen wir fast täglich überschwemmt werden, ist dieser Konflikt unendlich weit weg von uns. Unter anderem auch deshalb, weil es lebensgefährlich für Journalisten ist, sich in Bagdad und vielen anderen Landesteilen aufzuhalten.

Dreieinhalb Jahre nach Beginn des Krieges im Irak sind dort mehr Journalisten getötet worden als während des gesamten Vietnamkrieges. Weil die Berichterstattung von dort aus so schwierig ist, erfahren wir nur wenig über die Menschen im Irak: wie sie mit ihrer Enttäuschung über das offensichtlich gescheiterte Projekt der Amerikaner umgehen – und vor allem davon, wie sie leben in diesem Alltag, der von Schrecken und Tod bestimmt ist.

Minka Nijhuis, die niederländische Journalistin, hat sich im Jahre 2004 in Bagdad aufgehalten, als dies gerade noch möglich war. Was ihren Aufenthalt so speziell macht, ist der Umstand, dass sie in einer irakischen Familie lebte, bei Khala, deren Tochter Ward und deren Schwiegersohn. So hatte sie die Möglichkeit, das Leben, den Krieg und den Alltag mit den Augen von Irakern zu sehen. Und kann uns deshalb erklären, was in den Menschen vorgeht, wenn beispielsweise der Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten auch in der eigenen Familie ausbricht. Wards Mann ist Schiit, sie selber Sunnitin. Nie hat dieses Faktum irgendeine Rolle gespielt.

Doch eines Tages sagt Ward: „Manchmal erwische ich mich dabei, dass ich anfange, Schiiten zu hassen. Dann frage ich mich, was für ein Mensch ich eigentlich gerade werde.“ Immer religiöser sei ihr Mann geworden, habe missbilligend über ihre modische Kleidung gesprochen und über ihre freizügig verbrachte Jugend. Und warum? Woher dieser Sinneswandel?

„Es gibt eine Menge mehr Leute, die sich in diesen Tagen religiöser verhalten als bisher“, antwortet Ward, „obwohl sie das tief in ihrem Herzen vielleicht gar nicht meinen.“ Aber man zieht sich in die Religion zurück, weil der Alltag so viel Angst mache. Auch Intellektuelle passten sich dem allgemein herrschenden Umgangston an. Die Politik macht es vor, und viele Menschen finden sich wieder in diesen Vokabeln, die die Unterschiede zwischen den Volks- und Religionsgruppen betonen.

Eindrucksvoll schildert Nijhuis auch, wie die Menschen die Bilder der Gefangennahme Saddam Husseins aufgenommen haben. Nicht nur Triumph- und Siegesgefühle waren das, sondern auch Scham: „War diese heruntergekommene Gestalt der Mann, den sie all die Jahre gehasst und gefürchtet hatten?“ Peinlich ist ihnen sogar, dass er keinen Widerstand geleistet hat. Als wäre das nicht völlig egal und müsste es sie nicht eigentlich froh stimmen, dass er so eine erbärmliche Gestalt ist. Doch für viele – wie für Wards Mann Abbas – wirft dies gerade ein schlechtes Licht auf sie selbst.

Mit so einer jämmerlichen Gestalt konnten sie nicht selber fertig werden? Und Abbas sieht vor allem voraus, was aus heutiger Sicht als Teil des Übels erscheint: „Uns ist endgültig die Chance genommen worden, unsere Geschichte zu schreiben.“ In der Person von Khala, Abbas und Ward erlebt der Leser anschaulich mit, was die US-Invasion und der Bürgerkrieg für den Irak bedeuten. Man versteht, warum die USA den Krieg gewonnen, aber die Herzen verloren haben. Denn Minka Nijhuis ist so nah dran, wie Journalisten es selten sind. Für die Menschen dort bleiben die, über die sie schreiben, meist Fremde. Minka Nijhuis blieb nicht fremd, und das ist der Gewinn, den man aus ihrem Buch zieht.

Aus einer völlig anderen Perspektive schreibt Susanne Fischer. In „Meine Frauen-WG im Irak“ lässt sie den Leser an vielen Momenten des Staunens teilhaben, die sie als im Irak lebende Frau erlebte. Susanne Fischer, früher bei der Woche und dem Spiegel, ging 2005 in den kurdischen Nordirak, um für das britische Institute for War and Peace Reporting irakische Journalisten auszubilden. Auch sie beschreibt Leben im Irak, aber zuvorderst ihr eigenes und das Zusammenleben mit zwei ihrer irakisch-kurdischen Mitbewohner.

Auch dadurch gewinnt man viele Einblicke, aber allein die Tatsache, dass dieses Leben im einigermaßen sicheren Nordirak stattfindet, lässt sie andere Schwerpunkte setzen. Hier ist immerhin so viel Sicherheit, dass sich über Themen wie Emanzipation der Frau überhaupt nachzudenken lohnt.

Parallel gelesen hinterlassen die beiden Bücher vor allem einen Eindruck: das Leben in Bagdad und das im kurdischen Nordirak könnten unterschiedlicher kaum sein, obwohl gerade einmal vierhundert Kilometer dazwischenliegen. Das wird besonders deutlich, wenn man in beiden Büchern liest, wie die Ergreifung von Saddam Hussein von den Irakern aufgenommen wird. Minka Nijhuis schildert gemischte Gefühle – und sie erklären sich. In Kurdistan dagegen finden ausschließlich Freudenfeiern statt – und auch das erklärt sich.

Parallel gelesen, drängt sich zudem eine Frage auf: Warum sollten diese beiden Völker, Araber und Kurden, eine gemeinsame Zukunft haben – angesichts ihrer konfliktreichen Geschichte? Schließlich wollen sich ja nicht einmal die arabischen Sunniten und die arabischen Schiiten des Landes zusammentun. Vor dem Hintergrund der aktuellen Nachrichten drängt sich der Eindruck auf, dass eine Spaltung des Landes unabwendbar ist.

Minka Nijhuis: „Khalas Haus: Eine Familie in Bagdad“. Aus dem Niederländischen von Isabell Schmidtke. Herder Verlag, Freiburg 2006, 224 Seiten Seiten, 19,90 EuroSusanne Fischer: „Meine Frauen-WG im Irak oder die Villa am Rande des Wahnsinns“. Piper Verlag, München 2006, 256 Seiten, 17,90 Euro