ZWISCHEN DEN RILLEN
: Perfektion ist so was von öde

Cloud Nothings: „Here and Nowhere Else“ (Wichita / Cooperative /Rough Trade /PIAS)

Ach, die Langeweile. Dylan Baldi, Songwriter, Gitarrist und Sänger der US-amerikanischen Band Cloud Nothings, kann nicht nur ein Lied davon singen, sondern ganze Bündel voll. Gerade erscheint „Here and Nowhere Else“, das vierte Album in gerade mal fünf Jahren Bandexistenz.

Das Spielen der alten Songs habe ihn ermüdet, erklärte Baldi, so wurde es Zeit für etwas Neues. 2009 veröffentlichte der 18-jährige Musiker aus Cleveland erste Songs, die noch in der Tradition einer seinerzeit prominenten Lofi-Ästhetik standen: Lieder, die so klingen, als seien sie in einer Rumpelkammer aufgenommen worden und die mit ihren Halleffekten und Sixties-Harmonien an eine längst vergangene Popepoche erinnern. Carpark, das Label von Cloud Nothings, vertritt für dieses Genre prototypische Bands wie Beach House oder Toro y Moi. Trotz gravierender musikalischer Unterschiede eint die genannten Künstler ein Gefühl für Nostalgie.

Sturzflut und Wirbelsturm

Baldis jüngsten Songentwürfe haben eine andere Richtung eingeschlagen: Auf dem neuen Album „Here and Nowhere Else“ komponiert er nun Post-Hardcore und Punkrock, der sich aus wirbelstürmenden Gitarren, sturzflutartigen Drumbeats und eingängigen Hooklines speist. Acht Songs sind es geworden: Denn neun im gleichen Stil würden ihn anöden, merkte Baldi an.

Die Songtexte habe er einen Tag vor der Aufnahme geschrieben, und selbige fand bereits statt, während die Band gerade erst lernte, die Songs zu spielen: „Unser Sound hört sich besser an, wenn wir ein paar Dinge vermasseln, anstatt alles perfekt klingen zu lassen.“ Schließlich wäre endloses Touren auch eintönig, wenn alles reibungslos klappte, wenn alles perfekt abgestimmt ist, muss man sofort aufhören. Dieser spontane Gestus findet sich auf „Here and Nowhere Else“ in jeder Pore: Man kann die Songs nicht hören ohne sofortigen Bewegungsdrang und den Wunsch, die Band live zu erleben.

Ihre raue Dynamik strebt dahin, sich auf der Bühne jeweils immer neu und energiegeladen gegenwärtig auszuschütten, erklärt Baldi. Statt filtergetränkter Nostalgie spüren Cloud Nothings damit einem anderen poptypischen Moment nach: der Gegenwartsverheißung, dem Auskosten von magischen Momenten, der Erfüllung und anschließenden Erschöpfung. Mit den Symptomen von „Retromania“ hat das rein gar nichts zu tun, Cloud Nothings zelebrieren ein „Hier und Nirgendwo anders“ oder, wie es in der aktuellen Single „I’m not part of me“ heißt: „It starts right now / There’s a way I was before / But I can’t recall how I was those days anymore.“

Besonders eindrucksvoll: „Here and Nowhere Else“ funktioniert auch als überaus befriedigendes Kopfhöreralbum. Wie die Gitarrenhooks im rhythmischen Wechsel mit dem Schlagzeugspiel von Jayson Gerycz interagieren, lässt sich in immer neuen Hörgängen entdecken. Überhaupt bildet die Rhythmusabteilung mit Gerycz’ intuitiv wirkendem Einsatz von Triolen oder synkopischen Elementen und dem oft unmittelbaren Wechsel zu punkartigen, dabei schwindelanfälligen Snare- und Beckenanschlägen eine wesentliche Bereicherung des Sounds.

„I’m not part of me“ ist das den Pop zelebrierende Finale des Albums und zeigt beispielhaft, wie ein Cloud-Nothings-Song funktioniert. Statt eines klassischen Strophe-Refrain-Musters reihen sich viele gleichwertige Teile aneinander, die ihren eigenen Rhythmus und ihre eigenen markanten melodischen Figuren haben.

So überfrachtet das in der Theorie klingen mag, so schlüssig funktioniert es im Zusammenspiel. Das liegt vor allem daran, dass es dennoch eine Art Generalthema gibt, dessen Hookline in ihrer mitreißenden Eingängigkeit kaum zu überbieten ist und dadurch alle Teile zusammenschweißt: „I’m not, I’m not you / you’re a part of me“, wiederholt Baldi dabei immer wieder in einer Tonfolge völliger Katharsis.

Die Vorstellung, „Here and Nowhere Else“ könnte jemanden langweilen, fällt schwer. Und trotzdem ist da diese kleine Hoffnung, Baldi möge es so gehen, so dass er den Wunsch der Hörerin nach noch mehr solcher Titel schleunigst erfüllen mag.

LISA FORSTER

■ Cloud Nothings live: 17. 8. Serengeti-Festival, Holte-Stukenbrock; 18. 8. Badeschiff, Berlin; 21. 8. Schlachthof, Wiesbaden