Baumstamm, Klumpung und Clusterbrett

Die „Hörbar“ ist seit über 10 Jahren der zentrale Treffpunkt der experimentellen Musikszene. Heute und morgen veranstaltet sie das jährliche „Ausklangfestival“

Do, 28. 12. + Fr, 29. 12., Hörbar im B-Movie, Brigittenstr. 5

Als „Instrument“ diente dem Hamburger Komponisten und Klangkünstler Asmus Tietchens ein in Längsrichtung langsam gespaltener Baumstamm. Die dabei im Inneren des Stammes entstandenen, mit bloßem Ohr nicht hörbaren Geräusche nahm der 59-Jährige mit empfindlichen Kontaktmikrofonen auf. Mit extensiven Filterungen und anderen exotischen technischen Maßnahmen erwirtschaftete er so eine Vielzahl kompositorisch relevanter Strukturen. Nach rein gestalterischen Gesichtspunkten richtete Tietchens dann in den drei Teilen seines Werks „Trois Dryades“ ein Geräusch- und Klangkontinuum mit kaum noch wahrnehmbaren Verweisen auf das Ausgangsmaterial ein. Zum zweiten Mal nach 2003 gewann er damit den vom Südwestrundfunk gestifteten Karl-Sczuka-Preis – mittlerweile die wichtigste Auszeichnung für avancierte Radiokunst. Denn das „Zusammenspiel von vibrierenden Klangflächen und scharfkantigen Klangimpulsen, das Changieren zwischen konkret und abstrakt, der Wechsel zwischen kontemplativer Weite und physischer Bedrängung“ biete ein „Hörerlebnis von besonderem Reiz und Anspruch“, befand die Jury.

Wer sich in Hamburg auf die Suche nach derart reizvollen Hörerlebnissen jenseits gewohnter Konzertkost begeben will – oder auf die Suche nach Asmus Tietchens selbst –, findet jeden Mittwochabend in der Bar des B-Movie einen guten Einstiegspunkt. Dort findet sich die Hörbar, der zentrale Treffpunkt von KonsumentInnen und ProduzentInnen experimenteller Musik. Hier spielt man sich gegenseitig die eigenen Werke vor, tauscht Informationen oder plant gemeinsame Projekte. Anfang der 90er von Wolfgang Neven aka „YTonG“, Thomas Beck aka „tbc“ und Malte Steiner – bekannt vor allem durch seine Projekte „Notstandskomitee“ und „Elektronenhirn“ – initiiert, konstituierte sich die stetig gewachsene Gruppe Anfang 1995 als gemeinnütziger Verein.

Heute kümmern sich rund 30 Mitglieder darum, ProduzentInnen und KonsumentInnen miteinander ins Gespräch zu bringen, bisweilen sehr isolierte Aktivitäten untereinander und einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen und regionale wie internationale Netzwerke aufzubauen. Außerdem geht es allgemein um die Verbreitung und Förderung experimenteller Kunst, insbesondere elektronischer, elektroakustischer und industrialer atonaler Geräuschmusik – wobei sich die Hörbar explizit auch für medienübergreifende Projekte wie Filme, Texte oder Performances interessiert. An jedem letzten Freitag im Monat findet etwa die Reihe „unüberhörbar“ statt. Im Kinosaal des B-Movie gibt es Konzerte, Lesungen, Tanzperformances oder Filme. Die Grenzen sind dabei weit gesteckt, man ist offen für Künstler, die ihre Stücke vorstellen wollen.

Seit 1995 veranstaltet die Hörbar zudem jedes Jahr zwischen Weihnachten und Silvester ein „Jahresausklangfestival“. An zwei Abenden hintereinander treten jeweils sechs bis acht Künstler oder Gruppen im Kinosaal auf. Dazu sind Labels, die sich mit Herstellung und Vertrieb experimenteller Musik beschäftigen, eingeladen, ihre Werke zu präsentieren und zu verkaufen.

Im Rahmen des diesjährigen Festivals heute und morgen Abend sind acht Projekte zu bestaunen. Am Donnerstagabend gibt sich etwa Experimental-/Industrial-Urgestein Uli Rehberg aka Ditterich von Euler-Donnersperg unter dem kryptischen Titel „Knüllungen, Wulstungen, Klumpungen“ die Ehre. Euler-Donnersperg betreibt unter anderem das Industrial-Label „Walter Ulbricht Schallfolien“ und den Plattenladen „Unterm Durchschnitt“ und ist Gründer und langjähriger Vorsitzender der dada-sozialistischen „Kommunistischen Einheitspartei Deutschlands“ (KED). Da er sich in letzter Zeit verstärkt dem Literarischen zugewandt hat, ist von ihm jedoch nicht nur Musik zu erwarten.

Ebenfalls heute Abend sind Birgit Ulher und Heiner Metzger zu hören. Die beiden arbeiten schon seit über 20 Jahren zusammen – in Ad-hoc-Gruppen, Duos oder dem Ensemble „Timeta“. Dabei mischen sich Uhlers erweiterte Spieltechniken mit Geräuschanteilen, Klängen und Texturen fernab tradierten Trompetensounds mit Metzgers Tischklängen, bei dem Gabel, Messer, Löffel, Stift und Tisch als Klanggeber fungieren. Aber auch die anderen Projekte werden zu überraschen wissen. Etwa das Ensemble „Voicenoise“, das mit allen stimmlichen Ausdrucksformen experimentiert, die ohne elektronische Verfremdung möglich sind. Das Programm findet sich unter www.hoerbarev.de. ROBERT MATTHIES