Des Arbeiters Waffenschmiede

In diesen Tagen feiert der Hamburger DGB das 100-jährige Bestehen seines Gerwerkschaftshauses im Stadtteil St. Georg. Hinter sich hat es eine wechselvolle Geschichte

von BERNHARD RÖHL

Vor einhundert Jahren wurde in Hamburg nicht nur der Hauptbahnhof eingeweiht, sondern, ganz in der Nähe, auch das Gewerkschaftshaus am Besenbinderhof. In welcher Situation die abhängig Beschäftigten 1906 arbeiteten und lebten, beschrieb die Hamburger Hafenarbeiterzeitung damals so: „Hier in dem reichsten Stadtstaat dominiert der Geldsack mit einer brutalen Rücksichtslosigkeit wie nirgendwo anders … Wir organisierten Arbeiter spüren das täglich am eigenen Leibe“. Die Errichtung eines eigenen Gewerkschaftshauses war schon früher als Aufgabe des 1891 gegründeten „Hamburger Gewerkschaftskartells“ festgelegt worden.

Schon damals lagen in der Hamburger Innenstadt die Grundstückspreise hoch. Das geplante Gewerkschaftshaus indes hatte prominente Unterstützung: Der Reichstagsabgeordnete August Bebel, der trotz Verfolgung und Haftstrafe im Bismarck- und Hohenzollernreich immer wieder gewählt worden war, setzte sich für die Errichtung des Gebäudes in seinem Wahlbezirk ein. Die zuständige Kommission der Gewerkschaften sprach sich 1904 dafür aus, die Grundstücke am Besenbinderhof zu kaufen. Am 18. August 1905 begannen dort die Bauarbeiten für das Gebäude, das der Architekt Heinrich Krug entworfen hatte.

Am 29. Dezember 1906 wurde das Gewerkschaftshaus eingeweiht. Festredner war August Bebel: „Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass neben dem Rathaus und dem Zentralbahnhof als dritte bauliche Sehenswürdigkeit unser Gewerkschaftshaus zu nennen sei.“ Man werde, so der SPD-Gründer weiter, nun „Respekt haben vor dem Können der so viel verachteten Arbeiterklasse“. Das Haus solle zudem „unsere geistige Waffenschmiede sein, wo die Kämpfe zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage beschlossen, aber auch die Pläne beraten werden, die zur dauernden Hilfe für die Arbeiter führen“.

1908 tagte hier der sechste Deutsche Gewerkschaftskongress. Die Obrigkeit verbot den Gewerkschaften damals, die ankommenden Teilnehmer auf dem nahe gelegenen neuen Hauptbahnhof zu begrüßen. Zu den Forderungen der gewerkschaftlichen Delegierten zählten damals die Einführung des Acht-Stunden-Tages und ein umfassender Gesundheitsschutz. Unternehmer und Senat wollten davon nichts wissen.

Zwischen 1909 und 1913 wurde das Gebäude erweitert, es entstand ein „Hotel Gewerkschaftshaus“, das zehn Jahre später aus Kostengründen wieder geschlossen wurde. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs unterstützten SPD und Gewerkschaften auch in Hamburg die verhängnisvolle „Burgfriedenspolitik“: Vom 2. August 1914 an wurden sämtliche Lohnbewegungen unterdrückt und Streiks für die Dauer des Krieges untersagt.

An den Fronten verbluteten die Soldaten, im Reich herrschten vielerorts Hunger und Verelendung. Als im November 1918 die Werftarbeiter streikten, kam es auf dem Hamburger Heiligengeistfeld zu einer Massendemonstration. Das Gewerkschaftshaus wurde zum Schauplatz, als am 5. November Matrosen, Soldaten und Arbeiter zusammenkamen. Zwei Tage später gab der gemeinsame Arbeiter- und Soldatenrat bekannt, dass er die politische Macht übernommen habe.

Am 16. März 1919 erhielt die Hamburger SPD mit einer Stimme die Mehrheit und koalierte mit der bürgerlichen Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Am 26. März 1919 verschwand die rote Fahne vom Rathaus.

Am 28. Februar 1926 sprach Adolf Hitler vor dem großbürgerlichen „Nationalklub von 1919“ im Hotel „Atlantic“: Prominente aus Wirtschaft und Politik jubelten ihm zu, als er verkündete, den Marxismus auszurotten.

Im Frühjahr 1933 begann die Hitlerdiktatur auch in Hamburg. Im Gewerkschaftshaus amtierte der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) und SPD-Senator, John Ehrenteit. Er sprach sich dafür aus, am „Tag der nationalen Arbeit“ – so Hitlers Formulierung – als Gewerkschafter teilzunehmen. Am zweiten Mai stürmten SA und SS das Haus am Besenbinderhof. Ehrenteit und fünf andere leitende Gewerkschafter traten am selben Tag aus der SPD aus und bildeten eine eigene Gruppe, die bei der NSDAP-Fraktion „hospitierte“.

Die Braunhemden verbannten die schwarz-rot-goldene Fahne von dem Gebäude, an dem nun das Hakenkreuz prangte. Rudolf Habedank – seit Mai 1933 Gauobermann der „Deutschen Arbeitsfront“ – war über den vormals sozialdemokratischen Zuwachs nicht erfreut. Ihre Entscheidung, sich von der SPD-Fraktion zu trennen, beweise für ihn lediglich, „dass diese Herren entweder keinen Charakter haben“ oder aber ihre Angaben „bewusste Täuschungen sind“. Am 10. Juli 1933 erkannten die NS-Machthaber den sechs Überläufern die Mandate ab.

Der langjährige Vorsitzende der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, Adolph Kummernuss, erinnerte sich 1967 daran, wie die jüngeren Mitglieder der Gewerkschaft bis Ende April 1933 im Gewerkschaftshaus in Alarmbereitschaft lagen – besonders nachts. Dann habe Ehrenteit aus Berlin die Erklärung mitgebracht: „keinen Widerstand – alles zwecklos“.

Im Zweiten Weltkrieg kampierten zeitweise Soldaten im Gewerkschaftshaus. Luftangriffe im Sommer 1943, denen weite Teile der umliegenden Arbeiterquartiere zum Opfer fielen, richteten schwere Schäden an. 1945 gastierte das Deutsche Schauspielhaus am Besenbinderhof 58, denn seine Bühne an der Kirchenallee war von der britischen Besatzungsmacht beschlagnahmt. Der Baugewerkschafter Paul Bebert schließlich zerschlug im November 1945 das Hakenkreuz an der Fassade des Hauses.

1947 fand vor dem Gebäude eine große Demonstration gegen den Hunger statt. Am 1. Mai 1952 versammelten sich 120.000 Menschen vor dem Gewerkschaftshaus. Zwei Jahre später demonstrierten 160.000 im Hamburger Stadtpark. Ab da sanken die Teilnehmerzahlen der Maidemonstrationen mit jedem Jahr.

Dass das 100-jährige Bestehen des Krug’schen Gebäudes heute gefeiert werden kann, verdankt sich nicht zuletzt dem Umstand, dass so mancher Plan der Gewerkschaft nicht umgesetzt werden konnte: So träumte der Hamburger DGB in den 60er Jahren von einem „Hochhaus mit 18 Geschossen“, das dort zu errichten sei. 1970 wurde erneut der Abriss des Gründerzeit-Baus erwogen – zugunsten eines Beispiels für auswechselbare Büroarchitektur, wie sie andernorts vieles Alte verdrängte – längst nicht nur in Hamburg.