Dagegen und dabei sein

NACHLESE In den Artikeln zum 85. Geburtstag von Jürgen Habermas klingt vieles nach alten ideologische Grabenkämpfen. So manch prominenter Laudator zitiert gar die selbst gebauten Phrasen der Vergangenheit

Nachdem Jean-Paul Sartre mitten in Paris die verbotene Zeitung einer maoistischen Sekte verkauft hatte – La Cause du Peuple – riefen die Konservativen nach der Staatsgewalt. General de Gaulle replizierte trocken: „Voltaire verhaftet man nicht.“ Hierzulande regiert kein General, und Konservative rufen auch nicht nach Verhaftungen. Hier herrschen in der Politik der „Machtopportunismus“ (Habermas), und in Teile der Medien regiert die Wurstigkeit à la mode.

An Beiträgen zum 85. Geburtstag des weltweit renommierten Philosophen war das wieder einmal abzulesen. Neu ist es nicht. Nachdem Habermas vor genau 40 Jahren (1974) den Hegelpreis der Stadt Stuttgart erhalten hatte, trat der außerhalb von Fachkreisen unbekannte Philosoph Odo Marquard auf und beschäftigte sich mit Habermas’ These, in modernen Gesellschaften könne sich die Identitätsbildung nicht länger an den Krücken der vormodernen Gesellschaften – Nation, Staat, Religion, Stand, Ehre – bewegen, sondern müsse auf Solideres gegründet werden: auf universelle Werte, Rechts- und Chancengleichheit, Anerkennung, Teilhabe. Marquard reduzierte Habermas’ filigrane Argumentation auf die Behauptung, dieser meine nur, „Dabeisein ist alles“, und auferlege Individuen damit „Selbstpreisgabezumutungen“.

Zwischen den Zeilen stellte Marquard Habermas unter Totalitarismusverdacht. Ein paar Jahre später mutierte Habermas für Geißler, Dregger und Co. zum „Sympathisanten“ und „geistigen Vater des Terrorismus“. Und so ging das weiter. Karl Heinz Bohrer vermutete bei Habermas „geschichtsfeindlichen Universalismus“ und ein mangelndes Verständnis für „deutsche Nationalgeschichte“. Auf Peter Sloterdijks Attacken zurückzukommen, lohnt sich so wenig, wie auf jene von Adornos selbst ernannten Erbschaftsverwaltern.

Die Schützen der „FAZ“

Besonders oft und infam betrieben konservative Jungschützen der FAZ das mediale Schießgewerbe auf den Philosophen. Am 14. 12. 1998 machte sich einer so hinterhältig über Habermas’ Sprachbehinderung lustig, dass Alexander Kluge den ersten Leserbrief in seinem Leben schrieb. Gleich im Kollektiv bliesen Frank Schirrmachers Schießgesellen zum Halali, als Habermas 2001 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhielt. Einer zog ein Spielchen unter dem Titel „Habermas für Kinder“ auf und verhöhnte diesen als Ordnungshüter im Kinderzimmer. Jürgen Kaube verspottete Habermas – mit einer Anleihe bei Marquard – als Opportunisten des „Dabeiseins beim Dagegensein.“

Kaube gefiel seine eigene Formulierung so gut, dass er sie jetzt in seinem Artikel zu Habermas’ 85. Geburtstag – prominent als Coda platziert und seicht ironisch verpackt – wiederholte: „Das macht sie [sc. die Zustimmung aller, RW] als Ideal nur noch schöner. Weil in solcher Schönheit und im Wissen um die richtigen Werte aber die große Gefahr des Erbaulichen liegt, ist Jürgen Habermas, der ihr manchmal nachgibt, von seinem Bildungsweg mit einer fabelhaften Begabung für Negation ausgestattet worden. Gefahr des vernünftigen Konsenses besteht nicht. Heute feiert Jürgen Habermas, der auf bewundernswerte Weise in der Geistesgeschichte der Bundesrepublik Dabeisein und Dagegensein kombiniert hat, seinen 85. Geburtstag.“ (FAZ vom 18. 6. 2014) In seiner Häme und seinen Ressentiments gegen Aufklärung, Kritik und Protest ist das FAZ-Feuilleton schwer zu überbieten. RUDOLF WALTHER