Der Scheibe-Wischer (3)
: Textilfreie Zone

Alle Jahre wieder: Kurz vor Schluss gewährt taz-Justiziar und Rechtsanwalt PETER SCHEIBE Einblicke in die Abgründe des Presserechts

Angekündigt war die Fortsetzung bereits vor einem Jahr an dieser Stelle. Wir erinnern uns: Mediatex vertreibt die bei Neonazis äußerst beliebte Bekleidungsmarke mit dem donnernden Namen „Thor Steinar“, unter anderen auch an einen Filialisten namens „Snow & Sun“. Dass der Blick auf die herausgestellten und schnittigen Anfangsbuchstaben unheilvolle Assoziationen aufkommen lässt, mag Zufall sein, wie der Prozess überhaupt voller Zufälle war.

Auch bei „Snow & Sun“ erfreut sich die taz jedenfalls eines erstaunlichen Zuspruchs und einer unerwarteten Glaubwürdigkeit. Denn dort war man am 5. Juli 2005 über eine Suche bei der Internetmaschine Google ganz zufällig auf einen Artikel aus der taz-Ausgabe Hamburg vom Vortag gestoßen, in dem „Thor Steinar“ in Zusammenhang mit Neonazis gebracht wurde. Treuherzig schrieb der Geschäftsführer von „Snow & Sun“ einen Brief an seinen Kollegen bei Mediatex und begründete die Stornierung der am 1. Juli 2005 bestellten Waren im Wert von über 32.000 Euro so: „Ich bin an Politik überhaupt nicht interessiert und will in Ruhe meine Sachen verkaufen. Mit Neonazis wie Ihnen möchte ich nicht in einen Topf geworfen werden.“

Er konnte ja nicht wissen, dass Mediatex stets bestreitet, dass in der Firma Neonazis arbeiteten. Und erst recht nicht, dass die taz ihre Meldung insofern berichtigen würde.

Seltsam nur, dass ebenjener Geschäftsführer von „Snow & Sun“ in gleicher Funktion für eine andere Bekleidungskette unter dem Namen „Doorbreaker“ tätig war, welche zum gleichen Zeitpunkt ein T-Shirt der Marke – erraten – „Thor Steinar“ anbot, also jener Marke, deren Verkauf er bei „Snow & Sun“ als Überzeugungstäter ablehnt.

Doch das sollte nicht die einzige Frage bleiben: Wieso bestellt eine Bekleidungsfirma mit gerade einmal drei Filialen und einem Online-Shop Kleidung einer dem breiten Publikum damals kaum bekannten, in einschlägigen Kreisen dafür umso beliebteren Marke im Wert von 32.000 Euro? Weshalb recherchiert man zu einem bis dahin angeblich unbekannten Label erst, nachdem man dort für viel Geld Ware geordert hat? Und findet dann prompt den erwähnten taz-Beitrag? Fragen, welche auch die Klage nicht beantwortete, nach der die taz über 20.000 Euro Schadensersatz zahlen sollte.

Aber so ehrlich ist man bei Mediatex immerhin, dass man hier einräumte, die „Thor Steinar“-Klamotten aus Südostasien zu beziehen, selbst wenn das nicht so ganz im Sinne der Kundschaft sein dürfte. Und auch das Landgericht Hamburg wollte und musste nicht Sesamstraße spielen und die drei großen W beantworten, um die Klage abzuweisen. Auf kaum mehr als einer halben Seite begründete es sein Urteil damit, dass „negative Äußerungen über Waren und Produkte für die Presse mit einem nicht mehr kalkulierbaren Risiko verbunden wären, was zu einer unverhältnismäßigen Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit (…) führen würde“. Seine Berufung hat Mediatex inzwischen denn auch zurückgenommen.

Momentan ist „Thor Steinar“ übrigens wieder in aller Munde und glücklicherweise nur in wenigen Ohren: Das Modelabel präsentiert bei Radio Königs Wusterhausen im Südosten von Berlin – die Verkehrsnachrichten.